Angehörigenarbeit Teil 6: Grenzen setzen gegen Entwürdigung

Wie schon beschrieben wird Angehörigen alter Menschen, die möglicherweise in eine Einrichtung einziehen, viel Aufmerksamkeit während des Entscheidungsprozesses geschenkt. Wenn die alten Menschen dann zu Bewohner/innen geworden sind, erlischt oft das Interesse aus Zeitgründen und aufgrund einer kurzsichtigen Haltung. Denn die Angehörigen sind nicht nur Kunden, die darüber entscheiden, ob ihr Vater oder ihre Partnerin in ein Heim einzieht. Sie bleiben Kunden auch während der Aufenthaltsdauer in der Einrichtung. Und was an Kosten in der Betreuung und Begleitung von Angehörigen gespart wird, muss an anderer Stelle aufgewendet werden.

Eine Pflegedienstleiterin erzählte mir, dass sie den Hauptteil ihrer Arbeitszeit damit verbringt, Krisengespräche mit Angehörigen zu führen und Beschwerden entgegenzunehmen. Auch wenn Pflegekräfte und andere Mitarbeiter/innen durch Angehörige genervt sind und verletzt werden und deswegen krank werden oder kündigen, kostet dies Zeit und Geld. Eine gute und kontinuierliche Angehörigenarbeit lohnt sich.

Und es gibt Grenzen. Die Grenzen liegen in der Würde. So wenig wie eine Einrichtung hinnehmen kann, dass Angehörige die Würde ihrer Eltern oder Partner verletzen, so wenig kann eine Einrichtung hinnehmen, dass Angehörige die Pflegekräfte entwürdigen. Wenn Pflegende oder andere Mitarbeiter/innen einer Einrichtung Fehler machen und Unzulänglichkeiten zeigen, muss es einen Beschwerdeweg geben, der über Pflegedienstleitung und Heimleitung führt. Wenn Pflegekräfte und andere Mitarbeiter/innen verletzt werden, indem sie grundlos niedergemacht, angegriffen, beleidigt werden und Verachtung erfahren, dann müssen sie das Recht haben, sich dagegen zur Wehr zu setzen und Stopp sagen zu dürfen. Stopp sagen heißt sagen „Beleidigen Sie mich nicht. Das verletzt mich und ich muss mir das nicht bieten lassen.“ Stopp sagen heißt auch, dass es andere Personen in der Einrichtung gibt, Leitungskräfte, die dann an die Seite der Pflegenden treten und für sie Partei ergreifen und sie schützen. Nicht nur der Schutz der Bewohner und Bewohnerinnen, sondern auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist Fürsorgepflicht der Leitungen.

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About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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