Wenn Menschen mit Demenz gewalttätig werden – was tun?

Gewalt ist mehr als Aggressivität

Wenn Herr Müller sich über das Essen ärgert und Frau Seidel schimpft, dass sich „niemand“ um sie „kümmert“, dass sind das aggressive Äußerungen, die zeigen, dass diese Menschen mit dem, was ist, unzufrieden sind und etwas ändern, etwas „anders“ haben wollen. Das ist ihr gutes Recht und es gilt auch für Menschen mit Demenz, dass sie das Recht haben, sich zu ärgern.

Solche aggressiven Gefühle sind normal und fast alle Mitarbeiter/innen in der Altenhilfe können damit umgehen. Schwieriger wird es, wenn Aggressivität zur Gewalt wird. Die Übergänge sind fließend und es gibt weniger genaue Definitionen als ein deutliches Spüren, wann und wenn Gewalttätigkeit beginnt. Die Betroffenen fühlen sich verletzt, körperlich wie seelisch – das ist das wichtigste Kriterium. Solche Verletzungen durch Gewalttätigkeiten brauchen nicht nur körperlich erfolgen. Es gibt auch seelische Verletzungen, die nachhaltige leidvolle Auswirkungen bewirken.

Gewalttätigkeiten können deshalb unterschiedliche Ausdrucksformen haben:
– körperliche Attacken wie Schläge, Bisse, Spucken, Kneifen …
– sexualisierte Gewalt wie Berührungen im Intimbereich, erzwungene Berührungen …
– verbale Angriffe, Beleidigungen, sexuelle Anmache, Abwertungen, rassistische Verletzungen …

Auch bösartige Menschen werden alt

Wir Menschen haben alle die grundsätzliche Fähigkeit des Mitgefühls. Wir können uns in das Leiden anderer Menschen hineinversetzen. Wir sind so in der Lage, deren Schmerz zu spüren. In bildgebenden Verfahren haben Neurobiolog/innen zeigen können, dass dabei spezialisierte neuronale Systeme im Gehirn aktiv sind. Die Teilsysteme im Gehirn, die das Mitgefühl ermöglichen, werden Spiegelneuronen genannt.

Nun können Menschen diese Fähigkeit verloren haben. Dieser Verlust geschieht nicht aus heiterem Himmel, sondern durch Erfahrungen von Bösartigkeit und Prügel und unterlassener Hilfeleistung, vor allem, wenn Gewalterfahrungen verbunden sind mit der „Leere danach“, dem Alleinsein, dem Fehlen von Mitgefühl, Trost usw. Dann werden die Gewalterfahrungen weitergegeben, dann entsteht Rohheit und gewalttätiges Verhalten. Es ist bekannt, dass es solche Rohheit häufig gegenüber Kindern gibt, die sich in Schlägen, in sexueller Gewalt und anderen Erniedrigungen äußert. Solche rohen und verrohten Menschen werden alt und pflegebedürftig. Doch weder die Pflegebedürftigkeit noch das hohe Alter machen sie zu besseren Menschen. Durch Pflegebedürftigkeit erwerben sie nicht plötzlich die Fähigkeit zum Mitgefühl. Also setzen sie ihre Rohheit, die sich in Aggressivität und Gewalttätigkeit auslebt, fort. Wenn sie sie nicht mehr an ihren Angehörigen auslassen können, dann tun sie dies an Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern oder an den Menschen, die sie pflegen. Oft mündet die Gefühllosigkeit in offene Gewalt, oft schafft sie eine Beziehungsatmosphäre, die von anderen als gewalttätig empfunden wird.

Für viele alte Menschen sind Prügel und andere Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend sowie schlimme Kriegserfahrungen Gründe, die sie in die Rohheit getrieben haben. Kein Mensch, so unsere Überzeugung, wird verroht geboren, Menschen werden verroht gemacht. Doch schlimme Erfahrungen können erklären, aber nicht entschuldigen. Entscheidend für die Haltung gegenüber einem Menschen, der verroht wurde, ist, ob sich um wenigstens teilweise um mitfühlende und andere verstehende Beziehungen bemüht. Wenn er es ablehnt, sich in andere hineinzuversetzen, vor allem deren Leiden anzuerkennen, und die eigenen Gewalterfahrungen als “richtig” darstellt und weitergibt, dann ist er als Mensch ohne Mitgefühl und damit als bösartig zu bezeichnen:
Eine Gruppe „Alt und Jung“ trifft sich einmal wöchentlich donnerstags nachmittags im Pflegeheim. „Alt“ sind die Bewohner/innen des Hauses; „jung“ Schüler einer nahegelegenen Realschule im Alter von ca. 12/13 Jahren. Herr D. ist zum ersten Mal dabei und sieht zu, wie die Jugendlichen auf ihrem Handy spielen. Er versteht nicht, was sie tun, und fragt nach. Ein Junge erklärt ihm geduldig ein „Ballerspiel“.
Plötzlich beschimpft und beschämt Herr D. den Jungen. „Weichei“ und „Schlappschwanz“ waren noch die freundlichsten Bezeichnungen. “Bei Hitler wärst du nichts geworden!” Seine Generation, ja das waren die „echten Kerle“. „Wir haben so ein Scheiß` nicht gebraucht, wir haben noch mit echten Granaten und Bombensplitter gespielt“.
Es uns wichtig ist zu betonen, in verrohten alten Menschen auch die Opfer zu sehen, die sie einmal waren. Doch wir sind der Überzeugung, dass jeder Mensch irgendwann in seinem Leben die Wahl hat oder hatte, zumindest zu versuchen, den Weg des Bösen zu verlassen. Wer dies nicht tut, wer die Gewalttätigkeit gegen Kinder und erwachsene Menschen im Alter weiter auslebt, braucht ein klares Stopp, klare Grenzen, Solidarität der Kolleg/innen und eine eindeutige Intervention der Leitung. Hier bedarf es, auch wenn die verrohten Menschen alt und pflegebedürftig sind, anderer Reaktionen im Umgang mit ihrer Aggressivität und Gewalttätigkeit, als bei denen, die aus Unsicherheiten, Verwechslungen, Überforderungen und anderen Gründen aggressiv werden. Dies betrifft vor allem Menschen mit Demenz.

Gewalttätigkeit und Demenz: verschiedene Quellen, unterschiedliche Hilfen

Aggressives und gewalttätiges Verhalten von Menschen mit Demenz kann wie jede Aggressivität unterschiedliche Quellen haben. Pflegende und andere Begleitende sollten immer versuchen, so gut wie möglich nach diesen Quellen zu suchen. Die erste und zumeist wichtigste Hinweis, den wir Ihnen dafür geben, besteht darin, dass Sie, ganz gleich ob Sie im privaten Haushalt oder in einer Institution tätig sind, auf den Subtext der Aggressivität und damit des Verhaltens und der Gefühlsäußerungen des erkrankten alten Menschen achten sollten. Was heißt das? Was ist Subtext?

Unter Subtext verstehen wir das, was „zwischen den Zeilen“ zu hören ist. Um ein Beispiel zu nehmen, dass das veranschaulicht: Wir sitzen in einem Café und hören, wie am Nebentisch ein Ehepaar sich darüber unterhält, ob sie eine neue Küche anschaffen oder das Geld lieber in einen Urlaub investieren sollten. Scheinbar unterhalten sie sich sachlich, bringen Argumente vor und wägen ab. Doch der Klang in ihren Stimmen lässt frösteln, die Blicke, die sie sich im Gespräch zuwerfen, sind kalt und feindselig, die Atmosphäre, der wir eigentlich Unbeteiligt uns nicht entziehen können, entspricht eher einem kalten Krieg, als einer sachlichen Diskussion. Der sachliche Inhalt des Gespräches, der sachliche „Text“ dreht sich um eine Güterabwägung – der darunter liegende Text, also der „Subtext“, beinhaltet einen massiven Machtkampf.

Wie können Sie einen Subtext erfassen? Dazu sind also drei Elemente wichtig:

– Erstens sollten Sie nicht nur auf die Worte hören, sondern auch auf das achten, was zusätzlich zu den Worten ausgedrückt wird: der Klang und die Tonlage der Stimme, die Art der Blicke, die Gesten, die Körperhaltung und dergleichen mehr.

– Zweitens gehört zwingend dazu, dass Sie darauf achten, wie das Gesagte auf Sie wirkt, welche Resonanz in Ihnen entsteht, welches Echo es in Ihnen hervorruft. Um auf das Beispiel zurückzukommen, bei dem wir unfreiwillige Zeugen des Gesprächs des Ehepaars im Café waren: Wir spürten am eigenen Leib die Atmosphäre der Kälte und des Kampfes, die in uns Gereiztheit und Aggressivität hervorriefen.

Nehmen wir ein Beispiel:

Herr O. beschimpft seine Frau: „Fass mich nicht an! Du willst doch nur mein Geld!“ Seine Frau, die ihn pflegt, ist angesichts dieser Aggressivität fassungslos. Wäre sie trotz ihrer Betroffenheit in der Lage, genauer hinzuschauen, würde sie merken, dass die Augen von Herrn O. nicht aggressiv wirken, sondern eher unstet und hilflos hin und her flackern, ängstlich, ja sogar flehend. Und wenn Frau O. ernst nehmen würde, was in ihr als Resonanz auf das Geschimpfe von Herrn O. entsteht, dann würde sie Fassungslosigkeit und vor allem Hilflosigkeit feststellen können. Denn so ist es. Der Subtext der aggressiven Äußerungen von Herrn O. ist seine eigene Hilflosigkeit. Für Frau O. wäre es wichtig (auch für sie selbst), nicht nur auf die aggressiven Äußerungen ihres Mannes zu reagieren, sondern auch und möglichst vor allem auf dessen Hilflosigkeit. Damit könnte sie seiner Aggressivität den Boden entziehen.

– Auf einer dritten Ebene, die insbesondere bei der Pflege und sonstigen Begleitung von Menschen mit Demenz bedeutsam ist, um den Subtext aggressiven Verhaltens zu verstehen, ist es notwendig die Frage zu stellen: Was war davor? Was hat der alte Mensch vor dem aggressiven Ausbruch erlebt?

Wenn Frau O. dieser Frage nachgeht, bemerkt sie, dass Herr O. seine Windel eingenässt hat. Dies ist ihm peinlich und ein äußeres Zeichen seiner inneren Hilflosigkeit, die bei ihm wie bei vielen anderen Menschen oft zu aggressiven Ausbrüchen führt.

Wenn Frau O. nur auf die aggressiven Äußerungen eingeht, ohne auf den Subtext zu achten, würde der Konflikt und damit auch die Aggressivität eskalieren. Sie würde wahrscheinlich antworten, dass sie doch nur das Beste für ihn wolle und ja schließlich seine Frau sei und das Geld ja sowieso nicht reichen würde, um sie für die Pflege zu bezahlen usw. Er würde wieder seiner Antwort weitere aggressive Äußerungen hinzufügen, sie würde sich wiederum noch mehr verteidigen, er würde sich noch mehr in die Aggressivität hineinsteigern, usw.

Was hätte Frau und Herrn O. in dieser Situation geholfen?
Die wesentliche Möglichkeit, eine solche Eskalation zu vermeiden, hätte darin bestanden, auf den Subtext zu hören. Eventuell die Scham anzusprechen oder auf sie ohne Worte zu reagieren und vor allem auf die Hilflosigkeit von Herrn O. einzugehen.
Und was hilft Frau O. oder Ihnen, auf den Subtext hören zu können?
Als erster Schritt in brenzligen Situationen hilft: Innehalten. Das bedeutet, nicht gleich zu handeln, sondern zuerst einmal wahrzunehmen, was in dieser Situation gerade passiert. Ganz praktisch: erst einmal durchatmen, zwei bis drei bewusste und tiefe Atemzüge (nur “21, 22, 23” zu zählen reicht meist nicht). Dann hätte Frau O. sicherlich die eingenässte Einlage bemerkt und damit der Quelle der Aggressivität ihres Mannes Aufmerksamkeit schenken können. Als Konsequenz daraus würde sie dann – Scham mit im Handgepäck – ihren Mann ins Badezimmer begleiten …Es gelingt natürlich nicht immer, dass dann die Aggressivität schnell schwindet, aber in den meisten Fällen ist die Reaktion auf den Subtext der entscheidende Schritt.
Hilfreich wäre es und vorbeugend für ähnliche Situationen, wenn sie ihm danach etwas Schönes anbieten würde, wie z. B. das Angebot, ihn sein geliebtes Rasierwasser riechen lassen, ihn auch ohne vorherige Rasur zu betupfen, ihm ein Entspannungsbad zu gönnen …
Auch in Heimsituationen sind solche Subtexte aggressiver Haltungen häufig anzutreffen:

Frau D. sitzt im Tagesraum und plötzlich ist ihre Unruhe spürbar. Sie rutscht auf ihrem Stuhl hin und her und tippt erregt mit den Fingern auf dem Tisch. Eine Pflegekraft bemerkt ihr verändertes Verhalten und als Frau D. bemerkt, dass sie sich ihr nähert beginnt sie zu schimpfen: „Unverschämt, wie man hier mit alten Menschen umgeht! Das ist doch unerhört. Keine Ruhe findet man hier“.
Zunächst ist die Altenpflegerin fassungslos. Sie möchte helfen und die Dame schimpft heftig, lange bevor sie vor ihr steht. Als die Pflegekraft nah bei ihr ist, bemerkt sie, dass die Augen von Frau D. sie nicht aggressiv ansehen, sondern eher hilflos und flehend. Und dann sieht sie den nassen Fleck auf dem Stuhl.
Wenn die Pflegekraft den Subtext der Situation, d.h. der Beschimpfungen von Frau D. versteht, weiß sie, dass nicht sie mit der Beschimpfung gemeint ist.
Wertschätzend und die Scham vermeidend, wird sie Frau D. bitten, sie in ihr Zimmer zu begleiten und dort ihre Kleidung wechseln.

Und bitte bedenken Sie: Den Subtext zu spüren, ist nicht nur wichtig für die Pflegenden. Gerade Menschen mit Demenz spüren den Subtext der Pflegenden. Sie haben sicher schon Situationen beobachtet, in denen Pflegende sagen “Das macht doch nichts.” – und gleichzeitig mit angewidertem Blick und „spitzen Fingern“ die durchnässte Einlage entfernen. Und Sie werden bemerkt haben, dass Menschen mit Demenz mit Verunsicherung darauf reagieren, wenn Gestik, Mimik und Tonfall nicht mit der Handlung übereinstimmen. Auch Menschen mit Demenz können den Subtext verstehen! In diesem Fall wäre es besser, offen auszusprechen: “Das riecht aber unangenehm!” Und fortzufahren: “UND das mache ich weg und dann wird es besser.”

Erregung verringern

Sehr häufig drückt sich die Desorientierung und die grundlegende Verunsicherung alter Menschen mit Demenzerkrankungen in einer erhöhten Erregung aus. Wer in einer fremden Stadt eine Adresse sucht, um zu einem vereinbarten Zeitpunkt dort andere zu treffen und sich dabei verirrt und verspätet, wird wissen, dass eine solche Situation nicht gerade entspannend ist. Man wird unruhig und verkrampft, man strengt sich noch mehr an und es gelingt einem wahrscheinlich noch viel weniger, den vereinbarten Ort zu finden. Hohe Erregung kann sich immer in Aggressivität entladen, sei es in Worten oder Taten, gegenüber Gegenständen oder gegenüber Menschen. Deswegen ist alles gut, was Erregung reduziert. Ein solch klares Verhalten Menschen mit Demenzerkrankungen gegenüber kann häufig Erregungsschübe möglichst frühzeitig im Keim ersticken lassen und damit Aggressivität und Gewaltaktionen vorbeugend verhindern, auch wenn dies nicht immer gelingen wird. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit können die Pflegenden so Aggressivität vorbeugen.

Frau C. sitzt am Tisch und hört im Radio Musik. Ein Lied aus einer Operette wird gespielt, die Frau C. sehr mag und die sie an alte Zeiten erinnert. Ihre Tochter kommt hinzu und bringt ihrer Mutter eine Tasse Kaffee und eine Schale mit kleingeschnittenem Obst. Die Mutter ignoriert das Angebotene und konzentriert sich weiter auf die Musik. Die Tochter fragt dazwischen, ob sie den Kaffee einschenken soll. Und sie drängt: „Iss doch das Obst. Das ist gesund. Ich habe es dir so schön kleingeschnitten.“
Jetzt schaut Frau C. zunehmend irritiert zu ihrer Tochter, dann wieder zum Radio, dann auf den Kaffee und die Obstschale. Und steht schimpfend auf und verlässt den Tisch und ihre Tochter.

Offenbar war Frau C. von der Radiomusik aufgeregt, aus welchen biografischen Erinnerungen auch immer. Wenn dann noch andere Anforderungen hinzukommen, dann kann aus der lieb gemeinten Aufforderung, doch das Obst zu sich zu nehmen, eine Überforderung werden und die Erregung sich in aggressiven Äußerungen, hier verbunden mit Flucht, entladen. Die Tochter versteht nicht, was sie „wieder einmal falsch gemacht“ hat und ist, wo sie sich doch so viel Mühe gemacht hat, gekränkt. Wenn die Tochter dann mit defensiven Rechtfertigungen oder aggressiven Gegenvorwürfen reagiert, dann wird sich Situation noch hochschaukeln.

Wer als an Demenz erkrankter Mensch so hoch erregt ist, dass diese Erregung sich in Aggressivität äußert, befindet sich in einem Erlebenstunnel. In diesem Tunnel wird nur noch das wahrgenommen, was die Hocherregung betrifft, alles andere drum herum wird ausgeblendet. Deswegen helfen auch keine Argumente und Rechtfertigungen der Tochter, wie viel Mühe sie sich gegeben habe und dass sie ihr das nicht antun dürfe, sie so zu beschimpfen. In dem Erlebenstunnel der Mutter kommt nur an, dass sie etwas nicht kann, dass sie etwas falsch macht oder gar selbst falsch ist, was ihre Erregung noch mehr verstärkt und somit auch deren Aggressivität.
Es ist deswegen sinnvoll, von Seiten der Pflegenden auf einen „Kampf“ darum, wer Recht hat und was wie gemeint war, zu verzichten und sich stattdessen nur auf die Erregung einzustellen. Wenn die Tochter ebenfalls aufsteht und die Mutter eine Weile begleitet, während sie in der Wohnung umhergeht, und so gut wie möglich Kontakt mit ihr hält, sich vielleicht sogar einhakt oder ihre Hand nimmt, wenn das möglich ist, dann wird die Mutter sich beruhigen und dann kann sie auch wieder offen für den Kontakt mit ihrer Tochter werden.

Mit Verwechslungen umgehen

Bei der Betrachtung der unterschiedlichen Quellen aggressiven Verhaltens haben wir darauf hingewiesen, dass Sie, insbesondere wenn Sie Menschen mit Demenz pflegen, häufig Verwechslungen ausgesetzt sind. Auch dafür ein Beispiel:

Herr D. betritt das gemeinsame Zimmer, das er mit seiner Frau im Altenheim bewohnt. Seine an Demenz erkrankte Frau befindet sich schon im Raum und schreit auf: „Hilfe, ein fremder Mann! Raus hier, raus hier!“, und geht schimpfend und schlagend auf ihn zu. Der Mann ist tief verletzt, 52 Jahre lang ist er mit dieser Frau verheiratet und nun hält sie ihn für einen Fremden und verweist ihn des Zimmers. Er wehrt sich und sagt: „Ich bin doch dein Mann, ich bin doch deine Mann! Ich bin doch der Egon! Warum erkennst du mich denn nicht?!“ Doch seine Frau steigert sich immer mehr hinein, schreit panisch um Hilfe, fällt schließlich um und verletzt sich, so dass eine Mitarbeiterin geholt werden muss und die Frau eine Beruhigungsspritze bekommt.
Herr D. nimmt an einer Gruppe teil, in der Angehörige Rat und Hilfe erhalten und in dem solche Situationen durchgespielt werden. Herr D. erzählt von der Szene und wird gebeten, einmal in die Rolle seiner Frau zu schlüpfen. Ein anderer Kursteilnehmer übernimmt seine Rolle. Sie spielen nur ein bis zwei Minuten, dann wird Herrn D. schon klar, dass seine Frau voller Angst und Panik war und er sie gar nicht erreichte. All seine Gegenrede trieb sie noch stärker in die Angst hinein, bis kein Ausweg mehr sichtbar war. Die Kursleiterin fragte: „Was hätten Sie denn gebraucht?“ Er antwortet spontan: „Ruhe.“ Dann überlegt er und fügt an: „Etwas mehr Abstand, eine kleine Pause, eine Unterbrechung.“ Und das ist die erste Lehre, die er daraus zieht, als beim nächsten Mal wieder eine solche Situation zu entstehen droht. Als seine Frau ihn nicht erkennt und ihn des Zimmers verweist, geht er. Er wartet draußen und betritt dann nach einigen Minuten wieder das Zimmer. Die Frau ist ruhig und hat vergessen, was war. Diesmal erkennt sie ihn wieder.

Hilfreich, um Verwechslungen zu vermeiden, die zu aggressiven Handlungen führen, sind „Erkennungsmelodien“. Wenn Sie im Fernsehen die Tagesschau oder den Tatort schauen, dann gibt es eine Erkennungsmelodie, die allen, die zuhören, deutlich macht, dass es jetzt um die Tagesschau oder um den Sonntagsabend-Tatort geht. Viele Paare oder auch Eltern und Kindern haben solche Erkennungsmelodien, die manchmal nur ein kleines Summen oder ein mehrtöniges Pfeifen sind. Es kann sich dabei um die ersten Takte des Wiener Walzer handeln, den Sie früher oft getanzt haben, einen Schlager oder den Anfangstakt eines klassischen Stückes. Es sollte immer etwas sein, das Ihnen vertraut ist. Daran wird sich Ihr an Demenz erkrankter Angehöriger erinnern, auch wenn das kognitive Gedächtnis nicht mehr reicht, sondern nur noch das Gedächtnis des Leibes, das Gedächtnis der Sinne. Neben Klängen haben auch Düfte ihre Wirkung gezeigt, Erinnerungsgegenstände, Fotos, eine Kuckucksuhr oder anderes, was im Leibgedächtnis beider Personen verbindend enthalten ist. Wenn Herr D. jetzt das Schlafzimmer betritt, macht er das mit einer weißen Rose und übergibt sie seiner Frau. Sie liebt weiße Rosen und es stehen immer im Flur vor dem Schlafzimmer einige bereit. Sie verbindet den Duft und das Aussehen weißer Rosen sowie die Art, wie er sie ihr überreicht, mit ihm. Wenn sie ihn nicht unmittelbar erkennt, dann über den Weg der weißen Rose.
Was hilft bei Überforderung? Einfachheit, Klarheit und Flucht

Überforderung macht unruhig und anspannt und kann so zu aggressivem Verhalten führen. Das gilt insbesondere für Menschen mit Demenz, aber nicht nur für diese. Ältere Menschen sind in dem berühmt-berüchtigten „Multi-Tasking“ nicht geübt und reagieren mit Überforderung, wenn zu viel auf sie einströmt. Das ist wichtig zu wissen. Was jeweils das „Zu-Viel“ sein kann, das müssen Sie sich wie immer für die jeweilige Persönlichkeit und die jeweilige Situation zu erschließen versuchen. Könnten die aggressiven Äußerungen davon herrühren, dass etwas an den Sinnesreizen und Handlungserwartungen, die auf den alten Menschen einströmen, schlicht zu viel? Viele alte Menschen werden diese Frage, wenn Sie sie ihnen stellen, nicht beantworten können, manche sie auch nicht beantworten wollen – denn oft gebietet ihnen ihr (verzweifelter) Stolz und ihr Selbstbild, alles können zu wollen. Ein „Zu-Viel“ darf da nicht vorkommen. Also müssen Sie als Angehörige/r oder als Pflegekraft oft selbst versuchen, diese Frage zu beantworten. Gehen Sie Ihren Vermutungen nach, versetzen Sie sich in die Lage der älteren Person und probieren Sie aus, wie es ist, zu viel auf einmal bewältigen zu müssen, und genießen Sie die Experimente, wenn nicht so viel auf einmal angeboten wird, sondern „schön eins nach dem andern“.

Wieder ein Beispiel:
Es ist Mittagszeit und alle 14 Bewohner des Wohnbereiches haben sich zum Mittagessen eingefunden. Das Radio läuft, das Essen wird verteilt. Es ist Sonntag und vom CD-Spieler erklingt Rudolf Schock. Die Präsenzkraft stellt den Teller Suppe auf den liebevoll gedeckten Tisch mit Servietten und gleich hinterher den Pudding und ein Schälchen mit Obst.
Auf dem Tisch vor Frau Sommer steht auch noch die Flasche Maggi und ein Glas Wasser.
Die Mitarbeiterin schaut liebevoll auf den schön gedeckten Sonntagstisch. Frau Sommer jedoch sieht zunehmend irritiert auf vom Teller, zur Maggiflasche, zum Puddingschälchen, zum Obst, dreht sich zur Musik um und dann wieder zum Wasserglas. Sie schüttelt den Kopf und verlässt schimpfend den doch so scheinbar liebevoll gedeckten Tisch.

Was ist passiert? Die Mitarbeiterin hat Frau Sommer überfordert. Und das in mehrfacher Hinsicht. So viele Angebote sind zu viel für einen Menschen mit Demenz, das überfordert sie und treibt sie in Erregung. Menschen mit Demenz brauchen Klarheit und Einfachheit. Das, was gegessen werden soll, kommt jetzt auf den Teller und sonst steht dort nichts. Wenn dieser Gang vorbei ist, dann kann der Nachtisch kommen …

Eins nach dem anderen, so einfach und so klar wie möglich. So kann Erregungsschüben vorgebeugt werden und so können aggressive Ausbrüche vermieden werden.
In diesem Beispiel hat die Mutter relativ schnell mit Aggressivität reagiert, so dass sich die Überforderung als Quelle ihrer Aggressivität schnell erschließen konnte. In anderen Situationen reagieren überforderte Menschen mit Flucht. Eigentlich sehr verständlich: Wenn es einem zu viel wird, dann versucht man, dieser Situation zu entgehen, diese Umgebung zu verlassen. Wieder andere erstarren in Überforderungssituationen. Sie beamen sich aus der Situation heraus, reagieren äußerlich gar nicht mehr, sitzen z. B. nur da und schauen vor sich hin. Zumindest dann, wenn Ihnen dieses Verhalten auffällt, weil es für die betreffende Person ungewöhnlich ist, ist Vorsicht geboten. Denn diese Erstarrung enthält oft große Anspannung und innere Erregung, die sich bei einem geringen Anlass entladen kann, der oft ganz harmlos aussieht und manchmal geraume Zeit später geschieht. Hier scheint die Überforderungssituation gleichsam „gespeichert“ zu sein und entlädt sich irgendwann später, so dass Sie dann nur noch schwerlich auf die Idee kommen, dass die Aggressivität etwas mit Überforderung zu tun haben könnte.
Deshalb: Wenn Sie aggressivem Verhalten begegnen, das sie sich nicht erklären können, forschen Sie vorangegangenen Überforderungssituationen nach und suchen Sie nach Signalen, die der Erstarrung vorher gingen. Das kann sich lohnen und helfen, künftigen Aggressivitäten vorzubeugen. Wenn Sie den Verdacht haben, dass ein alter Mensch auf Überforderung mit Erstarrung reagiert, kann es sinnvoll sein, nicht nur die Überforderung zu reduzieren, sondern mit ihm aus der gesamten Situation zu entfliehen, zum Beispiel aufzustehen und mit ihm das Zimmer zu verlassen. Den Impuls, aus einer solchen Situation zu entfliehen, haben viele alte Menschen. Doch sie sind oft seelisch oder körperlich nicht mehr dazu in der Lage, diesen Impuls in Taten umzusetzen.
Deshalb brauchen sie Unterstützung bei der Flucht. Lieber Flucht als Aggressivität!

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

36 Kommentare zu “Wenn Menschen mit Demenz gewalttätig werden – was tun?

  1. Danke fuer die Erklaerungen. Das klingt alles sehr plausibel und huebsch – solange man nicht direkt selbst davon betroffen ist. Mein 96jaehriger Vater befindet sich seit einem Jahr in einem Zustrand, den ich als Endphase einer sehr rapide zunehmenden Demenz bezeichnen wuerde. Entgegen dem Rat vieler, hat es sich meine 90jaehrige Mutter in den Kpf gesetzt, ihn im eigenen Heim zu „pflegen“. Sie selbst hat noch eine Sehkraft von 15% – kocht, waescht (taeglich denn vater ist mittlerweile auch inkontinent), und machct den gesamten Hasuhalt – ja, richtig ICH lebe nicht zu Hause sondern in Irland und meine Eltern in Deutschland. Ich bin aber jeden zweiten Monat fuer einen Monat bei ihnen.
    Was mir in Ihrem Artikel nicht gefaellt ist die Tatsache, dass immer nur der Demenzkranke hier als „Opfer“ und Leidender dargestellt wird. Nach 67jaehriger Ehe (ich bin 66 :)) drangsaliert mein Vater meine Mutter nach Strich und Faden, schlaegt mit dem Stock auf sie ein, drueckt sie gegen die Wand, presst mit vollem Gewicht den Stock auf ihre Zehen, und ist auch in der Tagespflege schon auf andere mit dem Stock losgegangen. Demenz oder nicht, DAS kann man nicht einfach mit Tief-Durchatmen und Einfach-Machenlassen oder „Sub-Text“ wahrnehmen abtun. Meine Mutter war schon fast versucht, nachts die Polizei zu rufen.
    Tatsache ist, dass mein dementer Vater jetzt zugegeben hat, dass er deshalb extra schwer die Treppe hochzubewegen ist, um Mutter das Leben schwer zu machen (ich habe ihn schon oft ganz normal die Treppe steigen sehen). Meine Mutter hat zur Zeit maximaL 3 Stunde Schlaf pro Tag. Unter der Woche ist das dank der Tagespflege ertraeglich. AM schlimmsten sind die Wochenenden. Wenn sie dann mal vor Erschoepfung einnickt, schleicht er sich in den Keller, holt Farbe und beginnt, das Wohnzimmer zu streichen – nein, DA kann mann nicht einfach nur von De-Eskalation und Verstaendnis sprechen.
    Ich will damit sagen, dass man bei aller Liebe und bei allem Verstaendnis, Demenzkranke nixcht immer als Opfer darstellen sollte, fuer die die ganze welt Verstaendnis haben muss. Es sind auch die Angehoerigen, die verstanden werden muessen. In unserem Fall, werde ich meinen mittlerweile moribunden Vater in Baelde verlieren, und vielleicht auch meine Mutter, denn die haelt die taegliche Quaelerei nicht mehr lange aus. und somit fordert Demenz nicht nur ein sondern oft auch zwei und mehr Opfer. Einen Hoffnungsschimmer gibt es: Wenn meine Mutter ihren zu erwartenden totalen Zusammenbruch erlebt, wird es endlich moeglich sein, Vatr in ein Pflegeheim zu geben – dorthin, wo er eigentlich schon vor 2 Jahjren hingemusst haette. (Wenn man dort ueberhaupt noch gewalttaetige Kranken aufnimmt.)
    Tut mir leid, dass ich nicht positiver und verstaendnisvoller reagiert habe. Trotzdem wueensche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Aufklaerungsarbeit.

    • Das von Ihnen geschilderte klingt nach einer unhaltbaren Situation, das hält niemand aus….Hoffe da kann Abhilfe geschaffen werden. Alles Gute

    • Ich habe nach Hilfe gesucht im Netz. Und ich stimme dem Geschriebenen zu. Was ist mit den Pflegenden? Man wird allein gelassen…

    • Ich danke Ihnen für Ihre klare Ansage.
      Habe meine eigene Situation glasklar
      Wiedererkannt und stimme Ihnen zu,
      Dass die Lage der 2,3 Millionen Pflegenden
      Niemandem Interessiert.

    • Ach Sie sprechen mir aus der Seele, meine Mutter macht das selbe durch und aus lauter Angst, dass Ihre beiden Kinder für sie und den Vater finanziell aufkommen müssen, erträgst sie weiter die täglichen Beschimpfungen, Demütigungen und Drohungen. Hier kann ich nur hoffen, dass meine Mutter zeitnah auf mich hört und sich traut, die Initiative zu ergreifen, um ihre restliche Zeit noch ein wenig genießen zu können…

  2. Ich bin in genau der selben Situation. Meine beiden Eltern sind zw. 90 und 91 Jahre alt, meine Mutter ist körperlich schwer beeinträchtigt und mein Vater hat Demenz Stufe 2 Übergang zu 3. Er liegt den ganzen Tag nur herum oder er macht nur Sachen, die andere ärgern und das Leben schwer machen. Er ist meiner Mutter gegenüber aggressiv und gewalttätig, wenn er sich gegen ihre unzufriedenen Äußerungen und Zurechtweisungen nicht mehr zu helfen weiss, schlägt er zu und fügt ihr schon mehrmals Verletzungen zu.
    Die Aggressionen richten sich haupsächlich gegen meine Mutter und das Zusammenleben der beiden, die auch eine 24 Stunden-Pflege im Haus haben, fast nicht mehr tragbar.
    Keiner von beiden ist bereit ins Heim zu gehen, obwohl sie den Alltag daheim im Haus nicht mehr bewältigen.
    In einem Kurs der Caritas für pflegende Angehörige von Demenzkranken habe ich nur die harmlosen Tipps bekommen, dass man Demenzkranke keinem emotionalen Stress aussetzen soll. Auch der Hausarzt und der Neurologe halten sich total zurück und geben keine Unterstützung. Nur die unwirksame medikamentöse.
    Bei uns gibt es die Möglichkeit einen Demenzkranken in die geriatrische Abteilung der Nervenklinik zu überweisen. Aber wie bitte soll ich meinen Vater dazu bringen dorthin zu gehen ohne dass es zu einer Eskalation kommt?
    Bei uns nützt das „Zwischen den Zeilen“ lesen nichts mehr, denn meine Mutter, die das ja eigentlich können sollte, ist selbst leicht dement und mit den Nerven völlig am Ende.
    Wer kann mir hier einen Rat geben?

    • Liebe Frau Niedenhuber,
      ich kann Ihnen nur raten, über eine Vormundschaft oder den Arzt andere Wege Ihre Eltern oder zumindest den Vater ins Heim einweisen zu lassen. Das würde eskalieren, ja, aber manchmal geht es nicht anders. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Es nützt niemandem, dass dieser Krieg weitergeführt wird und dass Sie krank werden.
      Herzliche Grüße
      Udo Baer

  3. Ich muss mich dem Kommentar von Herrn Venghaus anschließen. Meine 84-jährige Mutter, bedingt Symptome einer Demenz aufweisend (Erklärung dazu folgt weiter unten), macht uns das Leben sehr schwer. Sie wohnte bisher allein im 1. Stock unseres gemeinsamen Hauses, während meine Frau und ich, beide berufstätig, den 2. Stock bewohnen. Oberstes Ziel für mich war es immer, meine Mutter so lange wie möglich im häuslichen Umfeld zu belassen, nachdem mein Vater vor zweieinhalb Jahren (auch an Demenz erkrankt) im Pflegeheim verstorben ist. Bisher haben wir die Betreuung mit Hilfe der Sozialstation, die morgens und abends gekommen ist und die Medikamente verabreicht hat, einer Dame auf Basis der Nachbarschaftshilfe, die 2x die Woche für 2-3 Stunden im Haushalt aktiv war, sowie mit Essen auf Rädern aufrecht erhalten. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Maßnahmen nicht mehr ausreichen. Meine Mutter blieb öfters bis zum Nachmittag im Bett liegen, hat das Mittagessen nicht zu sich genommen, verdorbene Lebensmittel zu sich genommen und die Körperhygiene vernachlässigt. Aus diesem Grunde haben wir seit einer Woche eine 24-Stunden-Pflege eingestellt, die aber von meiner Mutter massivst drangsaliert wird. So wird zum Beispiel die private Wäsche der Pflegerin aus der Wohnung geworfen oder nicht geduldet, dass sie zusammen mit ihr die Mahlzeiten (die von der Pflegerin zubereitet wurden!) einnimmt. Wüste Beschimpfungen gehen damit einher. Ich habe mehrfach versucht, schlichtend einzuschreiten, wurde dann aber auch jedes Mal aufs übelste beschimpft. (mit ordinären Kraftausdrücken, die ich hier nicht wiedergeben möchte). Auch körperliche Gewalt gegen mich und meine Frau hat es schon gegeben, in der Form, dass sie mit dem Besenstiel um sich geschlagen hat. (während wir ihre Wohnung gereinigt haben). Auch der Versuch, mich ganz zurückzuhalten und „von der Bildfläche“ zu verschwinden, trägt keine Früchte. Heute musste ich mit ihr wegen einer eitrigen Verletzung am Zeh zum Arzt und habe extra Urlaub genommen, nur um mich dann sofort wieder von ihr beschimpfen zu lassen. Meine Mutter ist körperlich ziemlich gebrechlich und ganz schwer zu Fuß und daher auf Hilfe angewiesen, die zwar im Moment in Anspruch genommen, aber in keiner Weise akzeptiert wird.
    Nun noch zur Erklärung von oben: „Symptome einer Demenz“: einerseits hat meine Mutter keine Ahnung, welcher Tag heute ist, oder welches Jahr wir haben. Auch kann sie nicht sagen, was es zum Essen gegeben hat. Aber sie ist immer noch in der Lage, mit etwas Unterstützung, Kreuzworträtsel zu lösen (und diese auch richtig auszufüllen!). Spricht man sie dann aber auf die üblen Beschimpfungen und Aggressionen an, meint sie scheinheilig (?), daran könne sie sich nicht erinnern.
    Wir sind mir der grundsätzlichen Bosheit (so muss man das leider nennen), die meine Mutter ausstrahlt, obwohl sie auf Hilfe angewiesen ist, allmählich überfordert und wissen uns nicht mehr richtig zu helfen. Die Pflegekraft reagiert sehr ruhig, geduldig und zurückhaltend. Jedoch könnte ich es ihr nicht verübeln, wenn sie demnächst ihr Bündel packt und wieder das Weite sucht.
    Dieser Aggression mit Verständnis und Deeskalation gegenüber zu treten, fällt uns zunehmend schwerer, weil wir glauben, dass die Gewaltbereitschaft nicht unbedingt krankheitsbedingt ist, sondern evt. ihr wahres Naturell darstellt.
    „Schlage nicht die Hand, die dich füttert“ – noch nie war meine Mutter weiter von diesem Leitsatz entfernt, als in der jetzigen Situation!

  4. Hallo , ich habe meine Mutti 1 1/2 Jahre 24 Std. rund um die Uhr in ihrem zu Hause gepflegt ( Krebs – und Demenz ) , war am Ende meiner Kräfte , sie wurde sehr aggressiv und beleidigend mir gegenüber , hat mich auch geschlagen . Aber irgendwann wurde sie immer ruhiger , wollte nichts mehr essen und trinken . Dabei hat mich das Palliativteam sehr stark unterstützt . Mutti ist dann leider sehr unschön verstorben , ich saß an ihrem Bett und habe ihre Hand gehalten . Ganz ehrlich , so schlimm wie es klingen mag , war dann aber auch eine Erlösung nach diesen 1 1/2 Jahren intensiver Pflege . Hatte mit dem Thema , endlich nach 4 Jahren , einen alten und an Demenz erkrankten Menschen zu pflegen abgeschlossen . Jetzt das gleiche mit meiner Nachbarin ( 95 Jahre ) , sie wohnt alleine , kommt selten jemand vorbei , ihre beiden Kinder sind schon vor ihr verstorben ( der Sohn erst vor 5 Wochen ) . Das hat sie total aus der Bahn geworfen , redet über schon vor Jahren verstorbenen Personen die bei ihr sind , aber nicht mit ihr reden wollen , in der Wohnung sei es immer sehr laut , obwohl da gar nichts ist . Ist Nachts sehr unruhig , schimpft und schreit warum sie ihr das antun , stampft mit ihrem Gehstock ganz tolle auf , reißt das Fenster auf und schreit laut um Hilfe . Beruhigt sich dann nach ca. 2 Std. wieder . Tagsüber ist sie dann völlig desorientiert und redet wirr . Was kann und soll ich als Nachbarin tun , ich habe keinen Wohnungsschlüssel , keine Telefonnummern von Angehörigen , weiß nicht was ich tun soll ! Und ehrlich
    gesagt , das macht mir Angst , schlafe unruhig , jedes kleine Geräusch ( Schlafzimmer liegen Wand an Wand ) läßt mich hoch schrecken , eben auch wegen der voran gegangenen Pflege von Mutti . Kann oder sollte man in so einem Moment den Notruf tätigen .

    • Es ist großartig, dass Sie sich sorgen und kümmern. Doch die Verantwortung ist zu viel. Sie müssen sich an die Kommune oder eine andere Stelle der Wohlfahrtsverbände wenden, die sich kümmern müssen. Und der Notruf ist dafür da angerufen zu werden.

  5. Meine Tante (93) wurde vom Pflegeheim in die geriatrische Klinik eingewiesen; sie wollte zu ihren Eltern, wollte gehen und wurde aggressiv und beleidigend. Jetzt will der Arzt, dass sie in einem geschlossenen Bereich kommen soll.
    Muss das wirklich sein?

    • Tja, mein Papa war schlussendlich in so einer Einrichtung und ich bin den Ärzten dort noch heute sehr dankbar. Mein Papa hatte Demenz, jedoch, das durch seine hohe Intelligenz bedingt, wirkte sich diese lange nicht tragisch aus. Aber, eines Tages stolperte er und fiel in den trockenen Pool. Danach hatte er massive Gehirnblutungen. Diese wurden erst eine Woche nach seiner dritten Einlieferung bemerkt. Das auch nur, weil man in der Psychiatrie sich doch so einige Fragen stellte. In der Medizinischen usw., geschweige in den diversen Ambulanzen, stellte man sich offensichtlich keinen echten Fragen. Gut, mein Papa verstarb schlussendlich in der Psychiatrie und ich bin heute noch unendlich dankbar dafür. Es war ja alles fürchterlich, was er mitmachen musste. Eine Zeitverlängerung mit dieser schrecklichen Qualität mutet man wohl nicht einmal dem ärgsten Feind zu. Die Ärzte sahen seinen Zustand und auch seine Zukunft. Diese war beschissen zu nennen, da er nie mehr essen können, nie mehr sprechen, gehen usw. konnte. Wozu dann weiterhin leben? Als mich der Arzt anrief um mir zu sagen, dass mein geliebter Papa gestorben wäre, da sagte ich: „WUNDERBAR!“ Davon abgesehen weine ich auch heute noch, da er mir so abgeht. Das, nach nun fast zwei Jahren, doch denke ich, diese Trauer ist normal.

  6. Ich finde ihre Aufklärungsarbeit im Rahmen der Demenzerkrankung zwar sehr gut, aber…ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen: Meine Schwiegermutter, 89 Jahre alt an Parkinson und Demenz erkrankt, ist von Natur aus schon ziemlich egoistisch und bösartig, vor allen Dingen mir gegenüber, der ungeliebten Schwiegertochter. Nun ist es so: Wir, mein Mann und ich, pflegen meine Schwiegermutter zu Hause, morgens kommt eine Pflegerin und macht sie tagfein…und dann…so oft nur noch Theater: Schreien, bösartiges Hetzen über meinen Mann (ihren eigenen Sohn!) und mich, haltlose Beschuldigungen (sie würde, vor allen Dingen von mir, getreten, geschlagen, geschubst etc.). Ich komme ihr nichtmal bis auf einen Meter nahe, da sie schon so oft behauptet hat, ich hätte ihr etwas angetan. Ich habe sie niemals geschlagen oder sonstiges. Sie kneift, kratzt und schlägt nach meinem Mann…aber die Tochter, die nie etwas für sie getan hat, ist das allerliebste Schätzchen. Das tut mir weh. Nicht für mich, sondern für meinen Mann!!! Dann ist sie am Jammern und Meckern, wenn wir abends mal außer Haus gehen (zu ihr kommt dann ebenfalls eine Pflegerin) und wenn es wiedermal eskaliert ist, dann kann sie sich angeblich an nichts mehr erinnern…brüllt mich aber sofort an, wenn ich was sage. Gut, ich lasse mir den Mund nicht verbieten. Ich weiß, dass diskutieren und streiten mit Demenzkranken nichts bringt, aber…man kann nicht immer nur den untersten Weg gehen, um des lieben Friedens willen. Unsere Nerven liegen auch mal blank, uns gehen auch mal die Gäule durch. Meine Schwiegermutter ist von Hause aus eben sehr ichbezogen. Die Krankheiten machen es nicht besser. Und ich muss gestehen: Ich fahre, nach vier Jahren Pflege, immer schneller aus der Haut…aber ich gehe sie nicht körperlich an.

    • Liebe Frau Weigand,
      egoistische und zu Aggressivität neigende Menschen werden keine besseren Menschen, wenn sie Demenz werden. Wenn Menschen mit Demenz verletzen, braucht es ein klares STOP. Man sollte versuchen, mögliche Quellen der Aggressivität erkennen und beheben. Aber das geht nicht immer, wie bei Ihrer Schwiegermutter. Das ist schade, aber nicht zu ändern.
      Herzliche Grüße und gute Nerven

      • Mir gefällt der Satz, dass man eine Bremse, ein Rotlicht, ein Stop-Zeichen einbauen sollte. Jedes Kleinkind versteht intuitiv, wenn der Mama die Nerven bald endgültig versagen. Alte Menschen, geistig irgendwo befindliche Menschen verstehen das sicher auch. Ich sehe nichts Schändliches daran, auch alten Menschen Grenzen aufzuzeigen. Tut man das nämlich nie bzw. zu selten, kann es passieren, dass diese pausenlos überschritten werden. Aufopferung hat jedoch hier keinen Sinn. Sich selbst zu mögen, den anderen Menschen so wahrzunehmen, wie er nun eben ist und dann die Balance zu finden, sich empathisch zu zeigen, jedoch zeitgerecht zurückzuziehen, das ist wichtig. Für einen selbst nämlich und auch für jenen, der einen so fordert. Dieser kann wenig wirklich begreifen, doch etwas begreift auch dieser Mensch noch: Dass er sich nicht pausenlos mit seinen Bedürfnissen über andere hinwegsetzen kann.

    • Ich wundere mich keinesfalls, dass man jegliche Empathie verlieren könnte. Davon abgesehen ist es wirklich so, dass wahre Egoisten sowie Narzissten und Psychopathen ja auch älter werden. Ob sie dann netter werden? Nein, ich denke nicht! Gut, es gibt jedoch auch Veränderungen im Gehirn, am Frontal-Lappen, die keinem Menschen gut tun. Immerhin bewirken hier Veränderungen tatsächlich, dass aus recht angenehmen Leuten wahre Furien werden. Aber, wer will diese freiwillig länger aushalten? Ich gestehe ein, ich würde mich einige Zeit sehr bemühen, doch sicher nicht dauerhaft. Immerhin ist man auch sich selbst verpflichtet.

  7. Sie beschreiben hier gerade das Leben–das ich als pflegender
    Angehöriger jahrelang geführt habe—bis die geschlossene sowie ein Heim anstand–ich kann jeden plegenden Angehörigen nur raten-warten sie nicht so lange wie ich—
    handeln sie zeitig.Meine Schwiegermutter war eine absolute Beisszange–das hätte mich schon misstrauisch machen sollen-ob sowas bei der nächsten Generation weitergeht–tut es–leider

  8. Ich war mit meinem Mann 2016 im Alzheimer Rehazentrum Bad Aiblingen. Wir Angehörigen wurden in den Therapiezeiten der Partner individuell geschult. Manchmal müssen auch Medikamente umgestellt werden. Ich kann es nur empfehlen. Am 22.8 fahre ich mit meinem Mann (Lewy Körperchen Demenz) NACH Ratzeburg zur Reha für pflegende Angehörige. Mein Mann ist dort in der Kurzzeitpflege im Nebengebäude untergebracht. Hund darf auch mit.🐕😉. Nun aber zu meinem Problem. Er wurde vor 14 Tagen an einem 6cm grossen Aneurysma operiert. Er hatt ein Durchgangssymtom. Kommt aber jetzt langsam zurück. Ich fahre jeden Tag 100km um ihn zu besuchen. Bleibe 3-4stunden bei ihm. Wir singen(seine Leidenschaft) ich erzähle ihm Märchen vor. Er lebt aber oft noch in seiner Welt noch. Gestern nahm ich eine Auszeit. Nachts eskalierte die Situation mit der Nachtschwester und tobte. So dass er I.V mit einer Spritze ruhig gestellt wurde. Darüber erhielt ich erst eine Info, als ich nachfragte, woher die Platzwunde auf der Stirn herrührt.
    Auf der einen Seite kann ich die Schwester verstehen. Sind bestimmt unter besetzt. Aber mein Mann tut mir auch leid.
    Ich bin stinkig, weil nicht die Situation geklärt wurd….mein Mann ist immer …auch jetzt…ein sehr lieber friedlicher und hilfsbereiter Mensch ist und war.

    • Liebe Frau Sage,
      ja, das ist genug Anlass, um stinkig zu werden. Sprechen Sie das an, teilen Sie Ihren Ärger mit. Nur so kann sich etwas ändern.
      Herzliche Grüße
      Udo Baer

    • Mein Vater war ein total liebevoller, hoch intelligenter Mensch, doch die Demenz, egal welche es auch immer ist, sie ist eine eigene Sache. Also, ich möchte nie einen total dementen Menschen pflegen müssen, da das eine unglaublich anspruchsvolle Aufgabe ist.

  9. Mein Mann hat Frontetomperale Demenz.
    Es ist sehr schwer.
    Mein Mann ist erst 56 Jahre.Wird sehr laut ,aggressiv , Gewalttätig.
    Ich kenne das gar nicht von Ihm.E R war immer sehr ruhig sehr einfühlsam u.lieb.Jetzt ist das ganze Gegenteil .
    Warum wird Er so laut , aggressiv u.Gewaltsam??
    Wie kann man damit umgehen???

    • Sehr geehrte Frau Stein,
      eine solche Demenz führt oft zu einer Persönlichkeitsveränderung. Die Persönlichkeit Ihres Mannes ist eine ganz andere als die, die Sie kennen. Das ist traurig, sehr traurig.
      Tipps zum Umgang kann ich aus der Ferne kaum geben, ohne Ihren Mann zu kennen. Wichtig ist: Sie brauchen Unterstützung, unbedingt. Unterstützung im Trauern und Unterstützung im Umgang mit Ihrem Mann. Das ist allein nicht zu schaffen. Wenden Sie sich an örtliche Einrichtungen und Beratungsstellen, bitte.
      Herzliche Grüße
      Udo Baer

    • Mein Papa war unser aller Sonnenschein. Ein fleißiger, sehr intelligenter Mensch mit einem warmen Herzen. Aber, das Gehirn ließ dann mehr und mehr aus. Erst am Ende seines Lebens wurde er streckenweise grob, doch das sehr. Wenn man sich das Gehirn betrachtet, die Funktionen und besonders diese Frontallappen-Region, dann ahnt man recht schnell, was Sache ist. Wir Menschen sind so oder so, doch wenn im Frontallappen Fehler passieren, dann erkennen uns irgendwann unsere Nächsten nicht mehr. Es ist Schicksal und zwar ein grausames. Besonders für jene Menschen, die diese Veränderungen bei einem geliebten Menschen beinhart miterleben und auch begreifen. Der Betroffene begreift diese Dimension ja nicht. Trotzdem ist es ein ganz armer Mensch, keine Frage.

  10. Sehr geehrter Herr Dr. Baer,
    in all den Beiträgen spiegelt sich viel Leid. Gut erkennbar auch dass Demenz nur ein Oberbegriff für eine Erkrankung ist, die individuelle Auswirkungen zeigt. Patentrezepte gibt es kaum. Und oftmals muss man als Angehöriger, als Laie, vor den Herausforderungen der Pflege kapitulieren. Deshalb kann ich nur bestätigen was Sie sagen. Auch aus eigener Erfahrung: unbedingt Hilfe holen. Unbedingt Beratungsstellen aufsuchen, mit dem Hausarzt sprechen. Da darf man keine Scheu haben, auch wenn es sich um die eigenen Eltern handelt. Das ist kein Verrat, sondern Hilfe. Man hilft damit auch sich selbst, denn man ist schnell am Ende seiner Kräfte, wenn man versucht alles alleine zu bewältigen. Und dann ist man für niemanden mehr eine Hilfe.
    Ihr Artikel ist sehr hilfreich. Er zeigt unter anderem, dass das es zumeist sinnlos ist mit Vernunft, Argumenten und guter Absicht zu handeln. Während die Gesunden von einem reichhaltig gedeckten und geschmückten Tisch entzückt sind, kann es den Demenzkranken ratlos und aggressiv machen. Hat er doch seine Essgewohnheiten im Laufe der Jahre selbst immer weiter vereinfacht. Ohne tieferes Wissen über die Krankheit Demenz macht man zwangsläufig Fehler. Und erzeugt vielleicht Aggressionen auf beiden Seiten. Also noch mal mein Rat: Hilfe aller Art einholen, bis hin zum Behördenkontakt, wenn Betreuung oder gar Einweisung die letzten Schritte sein sollten. Auch Selbsthilfegruppen und Seminare sind zu empfehlen, unter ebenso Betroffenen wird man verstanden, bekommt Tipps und kann sich auch mal alles von der Seele reden.
    Herzliche Grüße
    M. Gräber

  11. Was soll ich tun?
    Mein Mann ist 98 Jahre alt, hat Demenz und ist aber immer lieb und dankbar.
    Aber nun plötzlich liegen da 2 Weihnachtsengel ohne Kopf,
    die Köpfe liegen unter der Heizung.
    Nun fragte ich ihn, ob er sie kaputt gemacht hat, da sagt er, schon möglich. Er lacht sehr viel und ist vergnügt.
    Aber er kann sich nicht darauf besinnen. Muss ich Angst haben, dass er mir mal was tut, wenn ich schlafe?

    • Suchen Sie sich hier Ansprechpartner, die sich wirklich auskennen. Da Ihr Mann schon 98 Jahre alt ist, nehme ich an, dass seine Kräfte begrenzt sind. Offensichtlich vermuten Sie, dass er Ihren Kopf abtrennen könnte. Könnte er es rein kräftemäßig überhaupt? Tatsache dürfte sein, er lebt nun in seiner Welt. Diese scheint ihn eher fröhlich zu stimmen…, Gott sei es gedankt! Aber, wissen tut man rein gar nichts, wenn man mit mehr und mehr Verwirrten lebt. Davon abgesehen denke ich nicht, dass Sie so enden werden wie diese Weihnachtsengel, doch rate ich trotzdem zu etwas Vorsicht.

  12. Ich bräuchte auch mal dringend einen Rat!
    Mein Noch- Ehemann hat keine Alzheimer- Erkrankung, sondern seine Demenz wurde bei ihm 2009 durch seine MS- Erkrankung festgestellt, außerdem noch ein hirnorganisches Psychosyndrom. Es fing alles schleichend an. Er hatte die Schlüssel oft nicht gefunden, obwohl sie meistens in der Schürze waren, die er mittags trug. Aber mit den Jahren wurde es immer schlimmer.
    In meinem Fall ist es auch alles sehr schwierig, weil wir noch zwei minderjährige Kinder haben. Es ist wirklich ein Kampf!
    Es ist so, dass ich mich schon längere Zeit offiziell getrennt habe, aber noch mit ihm in einer Wohnung lebe, da ich erst warten wollte, bis meine beiden Kinder nicht mehr auf die Grundschule in unserem Wohnort gehen. Denn ich wollte sie ungerne aus dieser Schule tun. Mein Mann geht nach dem Aufstehen zu seinen Eltern und bleibt dort den ganzen Tag. Meine Kinder erzählen mir oft, dass er sich bei seinen Eltern auch so fürchterlich benimmt. Er schreit bei jedem bisschen herum und wird sehr ungehalten zu seinen Eltern.
    Aber unser Leben, das der Kinder und von mir, ist eine einzige Hölle.
    Ich kann nur hoffen, dass wir bald eine passende Wohnung finden, um wegzukommen.
    Man bekommt auch überall nur Steine in den Weg gestellt. Mein Mann wird fast täglich aggressiver und schlägt nach mir. Er schreit überall herum, ich wäre eine „Drecksau“, „Nutte“, „Bordsteinschwalbe“ uvm. Auch über meine Schwester zieht er übelst her.
    Er hat uns die ganzen Ostern vermiest! Schon direkt nach dem Aufstehen hat er mich beschimpft und mit dem Stock geschlagen, weil er die Schuhputzkiste nicht findet, die er anscheinend selbst hinten in den Schrank geworfen hat und nun nicht sieht.
    Ich habe schon eine Betreuung beantragt, die natürlich nicht ich übernehmen wollte. Er lehnte es ab und der Richter hielt es auch nicht für nötig. Ich hätte wohl nicht schreiben dürfen, dass es mir um das Sorgerecht geht. Aber es ist doch klar, dass ich mir große Gedanken um meine Kinder ( 11,14) mache! So ein Mensch, der selbst Hilfe benötigt, kann doch kein Sorgerecht für Kinder haben! Ich kann meine Kinder mit diesem Menschen nicht mehr alleine lassen. Ich habe Angst davor und meine Kinder natürlich auch.
    Er droht mir auch ständig. Heute drohte er wieder, dass er von mir Sachen wegwerfen würde, denn ich hätte ja die Schuhputzsachen weggeworfen.
    Wenn er von mir Hilfe benötigt, kann er sich einschleimen. Er nervt mich dann ununterbrochen, dass ich ihm wieder helfe, obwohl ich mir immer wieder vornehme, dass ich für ihn nichts mehr mache. Kurz danach beleidigt er nicht wieder auf das Übelste.
    Ich habe es schon seinem behandelten Neurologen gesagt, was los ist, aber er bekam verboten, mit mir zu sprechen. Der Hausarzt schickt mich wiederum zum Facharzt und meint, ich muss eine Betreuung beantragen. Aber das hatte ich ja. Also komme ich so auch nicht weiter.
    Er fährt auch noch Auto!
    Meine Kinder bekommen nichts zum Geburtstag, nichts zu Ostern oder Nikolaus. Weihnachten bekamen sie etwas Geld mit einer Karte, wo er gegen mich gehetzt hat, so dass sogar seine Eltern geweint haben und auf ihn so wütend waren. Meine Kinder hassen diesen Mann regelrecht. Ich habe nie gegen ihn gehetzt. Die Kinder haben von ganz alleine bemerkt, was er für ein Vater ist. Und lauter solche Dinge macht dieser Mann Tag für Tag!
    Was kann man tun? Was könnte ich machen, wenn er mich schlägt? Nützt es, die Polizei zu rufen? Was würde mit ihm passieren? Was kann man machen, dass meine Kinder nicht zu einem kranken Menschen kommen, sollte mir etwas passieren? Gibt es eine Beratungstelle?
    Wir haben eine Beratungsstelle für Angehörige von Demenzkranken. Aber die Beraterin ist die, die mir auch das mit der Betreuung für ihn „vermasselt“ hat und der Meinung war, Demenz wäre kein Grund, dass jemand kein Sorgerecht mehr hätte.
    Ich bin für jeden Tipp dankbar!

    • Liebe Frau Heil,

      entschuldigen Sie sehr späte Antwort, aber es gab einen Programmfehler und deshalb habe ich einige Fragen und Kommentare erst jetzt erhalten. Die von Ihnen geschilderte Situation
      macht mich auch ratlos. Sie brauchen gute Unterstützung. In einem vergleichbaren Fall hat eine Anwältin geholfen, eine gute. Vielleicht finden Sie jemand? Eine weitere Anspruchsstelle könnte der Kinderschutzbund sein, es geht schließlich um Ihre Kinder. Da habe ich gute und weniger gute Erfahrungen, je nach Ort und Region.
      Ich wünsche Ihnen Kraft und Erfolg
      Udo Baer

  13. Unser Problem ist ganz anderer Natur. Wir haben eine Eigentumswohnung im Mehrfamilienhaus. In der Wohnung unter uns lebt seit einigen Jahren ein altes Ehepaar. Zu Anfang fragten sie uns, ob es uns störe, wenn sie singen würden. Das verneinten wir, bereuten diese Antwort aber nach einigen Wochen, weil es immer unerträglicher wurde.
    Die beiden sind zudem sehr schwerhörig, haben aber keine Hörgeräte und unterhalten sich mit einer Lautstärke, als würde man sich in der 89. Minute eines Finalspiels in der Champion League von einem Tor zum anderen verständigen wollen. Der Fernseher läuft so, dass die beiden ihn gut hören können. Wir aber auch. Sonntags morgens hören wir ganz besonders den Fernsehgottesdienst. Nochmal so laut.
    Gelegentlich haben sie anscheinend eine Musikcassette bekommen, auf der selbst gesungene Lieder von Verwandten zu hören waren. Klar, dass wir auch damit akustisch beglückt wurden.

    Meine Frau und ich sind sehr verärgert und waren auch zigmale bei ihnen und haben sie gebeten, den Lärm zu unterlassen. Ich habe ihnen auch je einen Kopfhörer besorgt, damit jedenfalls deren tägliche Telenovela von unseren Ohren ferngehalten wird. Das hat auch nur ein Jahr funktioniert.

    Gesang, normale Gespräche usw. werden inzwischen weniger.

    Inzwischen ist die Frau dement, sitzt im Rollstuhl oder liegt spärlich bekleidet auf dem Bett, ist kaum ansprechbar. Aber täglich hat sie Schreianfälle, die alles bisherige in den Schatten stellen. Der Mann (Opa) macht einen völlig überforderten und resignierten Eindruck. Und wir haben die Befürchtung, dass er über kurz oder lang „vor die Hunde geht“.

    Die Schwiegertöchter kommen fast täglich, um die Wohnung zu reinigen. Die Gespräche zwischen den Jungen und Alten laufen in der oben beschriebenen Lautstärke und sind sehr anstrengend für uns, die wir sie nur mithören (müssen). Bei mir kommt hinzu, dass ich aufgrund meiner Depressionen, an denen ich seit 16 Jahren leide, hypersensibel für aggressive Töne bin. Mich belastet das sehr.

    Inzwischen finden die verbalen und lautstarken Auseinandersetzungen nicht nur am Tag statt, sondern auch irgendwann mitten in der Nacht, wodurch wir aus dem Schlaf gerissen werden. Mehrfach, versteht sich.
    Heute ist es, während ich diese Zeilen schreibe, wieder mal besonders unerträglich. Und deshalb habe ich im Netz versucht Rat zu finden, ob wir da irgendetwas machen können.

    Da die Töne und Untertöne zwischen den (Schwieger)töchtern und Eltern sehr aggressiv klingen, scheue ich mich, die Töchter anzusprechen. Dennoch halten wir es mit diesen Nachbarn kaum mehr aus.

    Gibt es eine Möglichkeit, die Ordnungsbehörden oder wen auch immer auf diesen Missstand hinzuweisen? An wen können wir uns um Rat wenden?

  14. Ich danke für dein realistischen lebensnah geschilderten Beitrag
    .Die Leser werden sicher dadurch zum Nachdenken angeregt.
    Durch eine Heimaufnahme wird allerdings nicht der Vater geändert, sondern die Aggressivität des Vaters entlädt sich beim Pflegepersonal.

    • Genau deshalb gibt man die Lieben ja irgendwann endgültig ab. Naturgemäß hat man dann meistens ein schlechtes Gewissen, doch die Plage ist man los.
      Klingt brutal, ist aber so!

  15. Seit 2 Monaten wohnt meine 91 jährige Mutter in einem Pflegeheim. Sie könnte nicht mehr alleine zu Hause bleiben, weil die Demenz immer heftiger wurde.
    Doch seit sie dort lebt wird meine sonst sehr friedfertige,freundliche Mutter zusehends aggressiver.
    Sie verweigert ihre Medikamente, oft auch die Mahlzeiten und trinkt nur nach Aufforderung.
    Sie nimmt an keinerlei Aktivitäten teil und will ihre Mahlzeiten nur in Ihrem Zimmer einnehmen.
    Sie ist völlig inkontinent und meldet sich nicht um zur Toilette zu gehen.
    Sie sitzt nun im Rollstuhl und schimpft ganz häufig über sämtliche Gegebenheiten. Dem Pflegepersonal macht sie die Arbeit schwer, denn sie verweigert öfter die nötige Pflege.Sie schlägt um sich und kneift die Pflegerinnen.
    Zu mir als Tochter ist sie nicht gewalttätig, schimpft aber häufig auch mit mir. Ich erkenne meine Mutter nicht wieder, ihre Fröhlichkeit ist verschwunden und ihr Gesichtsausdruck nur grimmig.
    Nun möchte das Pflegeheim meine Mutter in die Psychiatrie einweisen, damit sie dort medikamentös besser eingestellt wird. Ich bin mir so unsicher und habe die Befürchtung, dass es ihr dort nicht gut geht und sie evtl.nicht mehr ins Pflegeheim zurückkommt.
    Was soll ich tun? Was mache ich richtig? Wer weiß Rat?
    Danke!

    • Liebe Mary,
      wenn Menschen wie Ihre Mutter sich so verhalten, muss darauf geschaut werden, was sie dazu bringt. Ich vermute aus ähnlichen Erfahrungen, dass Ihre Mutter den Verlust ihres Heimes und der damit verbundenen Geborgenheit nicht verwunden hat. Wenn dem so ist, bringt ein weiterer Ortswechsel wahrscheinlich nichts außer hohe Medikamentationen. Erfolgversprechender wäre, Gegenstände aus ihrer Wohnung in da Heim zu bringen, vertraute Musik und alles, was sonst noch dazu einfällt, zu unternehmen, um wenigstens etwas Geborgenheit und Heimlichkeit zu schaffen. Ob das gelingt bzw. ob es noch andere Faktoren gibt, die das Verhalten verwirken und beeinflussen, kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Aber einen Versuch wäre es wert.
      Ich grüße Sie und wünsche Ihnen und Ihrer Mutter alles Gute

  16. Sehr geehrte Leser! Auch ich habe eine demenzkranke Mutter, die seit eineinhalb Jahren in einer Demenz-WG lebt und sich und anderen das Leben doch sehr schwer macht… die angegebenen Tipps sind zwar ab und zu hilfreich, aber nicht zu unterschätzen ist auch das nachwirken all der gemeinsam erlebten,in unserem Falle nicht sehr liebvollen Kindheitserfahrungen im Mutter_Töchter-Verhältnis.. oft gibt es de ja vue: dieser Egoismus, diese Egozentrik- das kenn ich nur zu gut, diese verbale Agressivität, dieses Ordinäre , dieses Übergriffige habe ich als Kind schon so gehasst… und dann innerlich zurückzutreten, sich nicht pers. getroffen zu fühlen.. das ist manchmal einfach zu grosse Kunst, die ich nicht immer gut beherrsche.. da hilft dann auch mir nur ganz reale Flucht. Es wäre so wichtig, wenn solche Pflegeeinrichtungen auch Fortbildungen für Angehörige anbieten würden, ganz selbstverständlich als Leistung zur Pflege dazu…

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