Wenn Patienten aggressiv werden

Verhält sich ein Patient aggressiv oder gewalttätig, ist es zunächst wichtig, zu unterscheiden, aus welchen gründen er so agiert. Ursache ist bei den meisten Menschen Überforderung oder Angst angesichts einer lebensbedrohlichen, chronischen Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit. Die Erregung wächst und die innere Spannung steigt, die sich in aggressiven Impulsen entladen kann. Zumeist erschrecken solche Menschen über sich selbst und über ihr Verhalten, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden. Aber es gibt auch Menschen, die „verroht“ sind. Solche Menschen haben kein Mitgefühl und kennen nur oben oder unten. Sie wollen „oben sein, wollen andere erniedrigen und zu Opfern degradieren. Solche Menschen bekommen keinen besseren Charakter nur weil sie pflegebedürftig sind. Sie brauchen ein klares Stop. Betroffene Pflegende brauchen dann vor allem Unterstützung und Solidarität des gesamten Teams. Wird eine Frau sexuell belästigt oder attackiert, ist es oft nützlich, wenn ein männlicher Pfleger hinzukommt und deutlich äußert: „Das machen Sie mit meiner Kollegin nicht!“ Hier ist auch die Pflegeleitung gefragt, deutlich Position zu beziehen.

Klare, eindeutige Botschaften geben

Wenn ein Mensch aggressiv auf eine Pflegefachperson zukommt und dabei hocherregt ist, ist es wichtig, diese Person nicht anzufassen, sondern im Gegenteil einen Schritt beiseitezutreten und zu versuchen, den Sicherheitsabstand zu wahren. Der Sicherheitsabstand besteht in der Regel in zwei Armlängen, mindetsens aber im Abstand eines ausgestreckten Arms, damit man bei Schlägen nicht getroffen werden kann.

Keine Situation kann netschärft werden, wenn die aggressive Person ständig kritisiert wird. Vielmehr führt das meistens dazu, dass sich die aggressive Person noch mehr in ihre Erregung steigert. Wichtig ist es indes, im Tonfall und in der Körpersprache beruhigend zu wirken – auch wenn es schwer fällt, da man selbst beunruhigt ist. Doch dies kann man üben und es hilft der Deeskalation.

Manchmal hilft es, den aggressiven Menschen zurückzumelden, welche Gefühle sie in ihrem Gegenüber auslösen: „Sie machen mir Angst.“ „Ich werde ganz unsicher, weil Sie auf mich so bedrohlich wirken.“ Solche Äußerungen können bei vielen Menschen wirken, weil ihnen nicht bewusst ist, wie aggressiv oder bedrohlich sie sind, und weil sie dies eigentlich nicht wollen. Nicht angesagt sind solche Äußerungen allerdings bei verrohten Menschen. Diese sind darauf aus, Angst auszulösen und würden sich von solchen Äußerungen nur bestärkt fühlen.

Setzt man aggressiven Äußerungen und Handlungen ein „Stop“ oder „Nein“ entgegen, ist es wichtig, klare Appelle zu äußern und eindeutige Wünsche zu formulieren wie etwa: „Ich möchte nicht, dass Sie das tun!“, „Ich will, dass Sie das unterlassen!“, „Ich möchte, dass Sie ein paar Schritte zurückgehen!“ Klarheit und Eindeutigkeit sind am wichtigsten. Nie- und Immer-Sätze sollten vermieden werden. Statt: „Nie hören Sie mir zu!“, lieber: „Ich will, dass Sie mir jetzt zuhören!“ Oder statt: „Immer beschimpfen Sie mich!“, lieber: „Ich will, dass Sie aufhören, mich zu beschimpfen, und zwar sofort!“

Doch nicht nur Worte sind wichtig, sondern die gesamte Körpersprache und vor allem der Blick. Einem aggressiven Menschen starr in die Augen zu schauen, wird dieser oft als Provokation auffassen und sich noch mehr in die Aggressivität hineinsteigern. Schaut man weg, kann dies als Flucht verstanden werden und vor allem verrohte Menschen noch mehr zu gewalttätigem Handeln ermutigen. Der Blickkontakt ist wichtig. Allerdings muss jeder auf seine Art der Gefahr ins Auge schauen, ohne sich von ihr fixieren zu lassen.

Erregung abbauen, in Gespräche verwickeln

In manchen Ratgebern wird gefordert, im Umgang mit Aggressivität prinzipiell ein Denken zu vermeiden, in dem es um Gewinnen oder Verlieren geht. Eine solch verallgemeinerte Aussage ist falsch und in manchen Situationen sogar gefährlich. Wenn ein verrohter Täter einer Pflegefachperson angreift, geht es um MAcht. Dann ist es wichtig, Widerstand zu leisten und möglichst bald aus der Situation zu fliehen und Hilfe zu holen. In anderen Fällen, in denen zum Beispiel an Demenz erkrankte ältere Menschen oder von der Krankheitsbewältigung überforderte Patienten erregt, aber noch erreichbar und beeinflussbar sind, wirken hingegen beruhigende Deeskalationsbemühungen. Sinnvoll ist es dann, die betreffende Person in ein Gespräch zu verwickeln, manchmal sogar Verständnis zu zeigen für die Erregung, wenn dies stimmig ist. Hier ist der „Schritt beiseite“ hilfreich, um aus der konfrontativen Zuspitzung herauszutreten. Die Pflegefachperson sollte versuchen, sich ein Stück weit in ihr Gegenüber hineinzuversetzen, um den Subtext der Aggressivität verstehen und daraus Wege der Deeskalation ableiten zu können.

In Situationen, in denen es vor allem darauf ankommt, Erregung abzubauen, kann es auch hilfreich sein, offene Fragen zu stellen. Sie zielen darauf ab, dass Personen zu erzählen beginnen. Wer erzählt, schlägt selten und kann Erregung abbauen, sodass Kommunikation abgebaut werden kann.

Das Problem bei allen Deeskalations-Tipps besteht jedoch darin, dass die meisten Menschen sie in kritischen Situationen vergessen. In einer bedrohlichen Situation geht es um Schutz vor Verletzungen und Kränkungen. Reaktionen geschehen dann automatisch. Es wäre natürlich gut, wenn die zuvor angeeigneten Verhaltensweisen abgerufen werden könnten. Oft gelingt das, aber nicht immer, weil die Bedrohlichkeit der eigenen Situation betroffene Menschen so überrollt, dass über das vegetative Nervensystem Erregung mobilisiert wird. Dadurch fällt sachliches Denken und Erinnern schwer.

Entscheidend und wünschenswert ist es deshalb, dass die sachlichen Informationen über Deeskalationsmanagement durch konkret praktische Übungen ergänzt werden. Dann kann und muss man sich nicht nur auf das eigene kognitive Gedächtnis verlassen, sondern auch auf das Körpergedächtnis, das Gedächtnis des Erlebens, das sogenannte Leibgedächtnis. In vielen Alltagssituationen mit Menschen mit Demenzerkrankungen, in denen leichte Aggressivität auftritt, wird es reichen, das vorher Gelernte umzusetzen. Doch wenn eine akute Bedrohung auftritt, übernimmt das eigene Selbstschutzsystem des Körpers das Kommando, einschließlich des Gehirns, und dann helfen nur Übungen und Trainings.

Baer, U.; Frick-Baer, G.; Alandt, G. (2014): Wenn alte Menschen aggressiv werden. Weinheim Görgen, T.; Rabold, S.; Herbst, S. (2007): Ist die Hand, die pflegt, auch die Hand, die schlägt? Ergebnisse einer Befragung ambulanter Pflegekräfte zur Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen in der häuslich-professionellen Pflege. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. Steinert, T. (2008): Basiswissen: Umgang mit Gewalt in der Psychiatrie. Bonn Walter, G.; Nau, J.; Oud, N. (Hrsg.) (2012): Aggression und Aggressionsmanagement. Praxishandbuch für Gesundheits- und Sozialberufe. Bern

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

2 Kommentare zu “Wenn Patienten aggressiv werden

Schreibe einen Kommentar zu billige fodboldtrøjer Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.