Das Maß der Angst (Angst 5)

Oft wird von Kindern wie von Erwachsenen gesagt, dass ein „bisschen Angst“ okay sei, aber zu viel Angst falsch und gefährlich. Man müsse das „richtige Maß“ finden. Die Frage nach dem „Maß der Angst“ beschäftigt viele Menschen und deswegen ist es sinnvoll, darüber ein wenig nachzudenken.

Zunächst einmal hat kein Gefühl ein „Maß“ im Sinne eines vergleichbaren Maßstabs. Welches Maß hat Ihre Liebe? Welches Maß kann die Trauer der Frau haben, die ihren Mann verloren hat? Welches Maß das Mädchen, das um die weggezogene Freundin trauert und sich nach ihr sehnt? Hier ein Maß zu verlangen, unterstellt, dass eine „richtige“ Vorgabe geben könnte. Wer will Liebe oder Trauer begrenzen? Wer will ein Maß der Angst oder der Sehnsucht vorgeben? Niemand kann das guten Gewissens tun. Der Grund ist einfach: Gefühle sind individuell und subjektiv. Deswegen ist das Maß des Fühlens ebenfalls bei jedem Menschen verschieden und wird unterschiedlich erlebt. Das müssen wir Menschen akzeptieren. Wir bekräftigen mit diese Akzeptanz die Einzigartigkeit eines jeden Menschen.

Deshalb: Jede Angst ist anders. Jede Angst ist einzigartig. Wenn Sie sich mit Kindern oder anderen und deren Angst beschäftigen, dann akzeptieren und bekräftigen Sie deren Einzigartigkeit und die Einzigarbeit ihrer Gefühle. Auch der Angst. Und dann gibt es einen weiteren Aspekt. Viele Menschen haben Angst, dass ihre Angst so groß wird, dass sie sie überflutet, dass sie in ihr versinken. Sie leiden daran. Wenn eine solche Überflutung wirklich eingetreten ist, brauchen diese Menschen, Kinder wie Erwachsene, professionelle Hilfe. Doch bei den meisten ist die Angst noch nicht so gewaltig und gewalttätig, es besteht nur die Angst vor der überwältigenden Angst. Und deshalb suchen sie nach einem Maß. Wir können hier nur sagen: Ein Maß oder einen Messbecher gibt es nicht. Es gibt nur Hilfen, die individuell ausprobiert werden müssen. Wir nehmen das Leid an der Angst ernst. Deshalb unterstützen wir auch im pädagogischen und sozialpädagogischen Kontext drei Wege der Hilfestellung:

Erstens ist es notwendig und sinnvoll, über die Ängste zu reden, möglichst konkret. Ängste zu teilen und mitzuteilen vermindert sie.

Zweitens gilt das große UND. Beschäftigen Sie sich mit der Angst UND mit ihrem Gegenteil. Das wird bei jedem Menschen etwas unterschiedlich sein. Bei vielen ist es die Geborgenheit, bei anderen die Freude oder die Trauer, bei wieder anderen die Freundschaft und Liebe.

Und drittens hilft es, die Ebene zu wechseln, wenn ein Gefühl wie die Angst zu stark wird. Wir kennen viele Menschen, die bei ansteigender Angst in Handeln gehen, die etwas anpacken: ein Zimmer aufräumen, Wäsche waschen, den Garten umgraben, das Spielzeug reparieren, einen Protest schreiben oder anderes tun, was wirksam ist.

Das sind drei Aktivitäten, die helfen, damit die Angst nicht maßlos wird und das Leiden an der Angst nicht immer größer. Diese drei Aktivitäten sollten wir allen anbieten, die sich ängstigen und die Angst vor der maßlosen Angst haben. Überall.

 

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About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Ein Kommentar zu “Das Maß der Angst (Angst 5)

  1. Angst, die Angst vor der Angst ist für viele Menschen die schlimmste Erfahrung. Es stimmt, wer von uns kann ermessen, wie schlimm es ist täglich schwarze Männer zu sehen, Angst zu haben beim Duschen zu ertrinken, Angst zu haben, weil man nicht mehr weiß, wo man ist, welche Tageszeit es ist, wer der Mensch ist, der mich da wäscht, dass ich Angst habe, weil mich mein Gegenüber nicht mehr versteht. Ich könnte viele, viele Beispiele nennen, wo ich der Angst in meiner Arbeit mit Menschen mit Demenz jeden Tag begegne. Ich habe erfahren, dass ich die Angst nicht auslöschen kann, aber ihr eine Pause einräumen kann, in der sich die Menschen erholen können. Wenn mich der Mensch nicht mehr versteht, spürt er aber doch, dass ich ihn ernst nehme. Wenn wir auch keine gemeinsamen Worte mehr haben, gibt es noch die Musik, die uns verbindet, wenn mein Vater meinen Namen nicht mehr kennt, erinnert er aber die Umarmung und den Kuss auf die Wange. Wenn die Angst im Sitzen groß ist, wird sie oft im gemeinsamen Bewegen zum kleinen Begleiter. Wenn sie im Nichts tun unruhig macht, wird sie im gemeinsamen Tun in die Ecke gekehrt. Ich glaube, es ist wichtig individuell zu schauen, was dem Menschen gegen seine Angst hilft und es dann zu tun und nicht vor Angst, es lieber zu lassen.

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