Triangel

Wenn zwei Menschen, von denen einer an einer Demenz erkrankt ist, versuchen miteinander zu kommunizieren, gibt es oft Schwierigkeiten. Das Konzept der Triangel kann dabei neue Möglichkeiten eröffnen.

Daniela M. versucht mit ihrem Mann, der zunehmend an Alzheimer-Demenz leidet, ins Gespräch zu kommen. Doch er antwortet nicht auf ihre Frage, wie es ihm denn gehe. Vielleicht hat er sie nicht verstanden. Vielleicht fürchtet er, etwas Falsches zu sagen oder Worte nicht zu finden und ist deshalb verstummt. Dann holt sie einen Bildband aus dem Bücherregal, in dem unterschiedliche kleine Segelschiffe abgebildet sind. Ihr Mann war ein begeisterter Segler, solange er es noch konnte. Beide beugen sich über das Buch und beginnen zu blättern. Da beginnt ihr Mann zu erzählen. Von früher, aber auch, wie es ihm jetzt geht. Er beschreibt seine Stimmung sogar poetisch als „stürmische See“ und dann mal wieder als „Flaute“.

Was war geschehen? Beide bezogen sich auf etwas Drittes. Es entstand in ihrer Kommunikation eine Triangel. Wenn wir Daniela M. als A bezeichnen, ihren Mann als B, gibt es in dem Segelschiff-Bildband ein C, auf das sich A und B beziehen. Die oft gemachte Erfahrung lautet: Wenn A und B sich auf etwas gemeinsam Interessierendes beziehen, verändert sich auch etwas zwischen ihnen. Dieses Konzept der Triangel entspringt den vielfältigsten Alltagserfahrungen im Umgang mit Menschen mit Demenzerkrankungen – und nicht nur ihnen. Die Grundlage dieses Konzeptes hat Michael Thomas Sello entwickelt. Dieser amerikanische Anthropologe und Verhaltensforscher hat untersucht, wie die anfangs sehr ähnliche Entwicklung der Säuglinge von Primaten und von Menschen irgendwann sehr differenzierte Wege einschlägt. Dafür mag es unterschiedliche Gründe geben. Thomas Sello entdeckte das „Konzept der geteilten Intentionalität“. Wenn ein Säugling etwas möchte, zeigt er darauf. Auch Eltern weisen auf die Schuhe, die angezogen werden sollen oder auf das Bett, in den das Kind hineingelegt werden soll. Das ist gestische Kommunikation, die es bei Primaten so nicht gibt, das Verstehen der Absichten des Gegenübers. Die „Intentionalität“ macht eine Verbindung zwischen den Beteiligten und fördert das Verständnis untereinander. Das gilt für Kinder, Erwachsene und auch für alte Menschen, auch für diejenigen mit demenziellen Erkrankungen. Wenn gemeinsam gekocht wird, beziehen sich demenziell Erkrankte und andere auf etwas Drittes, die Nahrungsmittel und schließlich das fertiggestellte Gericht. Sinnliche Eindrücke spielen dabei eine Rolle. Die Gerüche, das Anfassen der Lebensmittel, auch Bewegungen wie das Kartoffeln schälen verlernen, demenziell Erkrankte nicht, auch wenn sie das Wort Kartoffel vergessen haben sollten. „Dieses Verständnis ermöglicht es ihnen, sich in die geistige Welt einer anderen Person hineinzuversetzen, sodass sie nicht nur vom anderen, sondern auch durch den anderen lernen können. (Thomas Sello, 2006, Seite 16). Trialogische Begegnungen zu schaffen und zu nutzen, unterstützt und fördert Kommunikation mit demenziell erkrankten Menschen.

 

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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