- Für Dich soll`s rote Rosen regnen … Teil 1
- Für Dich soll`s rote Rosen regnen … Teil 2
- Für Dich soll`s rote Rosen regnen … Teil 3
Eine Geschichte über leiborientierte Musiktherapie in der Praxis in 3 Teilen
Er ist mit Leib und Seele Sänger. Das Altenheim, in dem ich ihn kennen lernen durfte, ist jetzt seine „Bühne“.
Als ich Herrn Schmitz (Name geändert) kennen lernte, war er 85 Jahre alt. Schlaganfälle hatten ihn „in den Rollstuhl“ gebracht. Geistig fit erzählt er gerne aus seinem ereignisreichen Leben.
Jahrzehntelang bereicherte er gemeinsam mit seiner Frau als Duo ungezählte Karnevals-, Schützen- und Brauchtumsfeste, auch bei Familienfeiern und Hochzeiten waren sie gerne „gebucht“. Musik bestimmt auch im Heim sein Leben und mir als Musiktherapeutin geht das Herz auf. Mit seiner Mundharmonika fährt er gerne von Tisch zu Tisch, bringt ein Ständchen, erntet viel Lob, aber mitunter auch Ablehnung – denn er möchte auch „gefeiert“ werden, wozu nicht jeder Bewohner bereit oder fähig ist.
Hin und wieder begleitet er mich auf Zimmerbesuche, um bettlägerigen Bewohner/innen ein Ständchen zu bringen und sie zu erfreuen. Dankbar nehme ich seine Hilfe an. Seine kräftige, immer noch sichere Stimme gibt mir beim gemeinsamen Singen halt. Sicherlich hat er Recht mit seiner Bemerkung: „Gitta, es ist sehr schön, wenn wir hier so gemütlich in der Runde zusammen sind. Aber singen – singen kannste ja man so gar nicht.“ Dabei klingt der warme, wohlmeinende Klang seiner Stimme fast väterlich. Ich reflektiere den Satz, denke an Klient/innen-Kompetenz und entscheide mich für die Haltung, aus „der Not eine Tugend“ zu machen. Die eigene Stimme ist eine bedeutende Ressource für Menschen, die ständig auf Hilfe angewiesen sind, und da ist es nun wirklich nicht erforderlich, dass ich auch „das“ noch besser können muss.
An einem Nachmittag besuche ich Herrn Schmitz in seinem Zimmer. Am geselligen Nachmittag hatte er gefehlt, was nur in sehr seltenen Fällen vorkommt.
Er sieht mich – nimmt mich aber nicht wahr. Sein Blick wirkt leer und sehr weit von mir entfernt. Er spielt in sich versunken seine Mundharmonika. Ich setzte mich still zu ihm, gönne mir einige Atemzüge Zeit und lausche seinen Klängen. Meiner Resonanz folgend begleite ich ihn mit leisen, tiefen Tönen auf meiner Mundharmonika. Ich besitze eine sehr kleine „Puck-Mundharmonika“, ein Originalnachbau aus den 30er Jahren, die leicht ins „Handgepäck“ passt. Über die gemeinsamen Klänge entsteht nach einigen Minuten ein Blickkontakt; Herr Schmitz nimmt mich wahr. Ein wenig später – er sieht meine kleine Mundharmonika, hört auf zu spielen und seine Augen füllen sich mit Tränen. Ich beende meine musikalische Begleitung und reiche ihm meine Hände. Er sieht mich jetzt an, fragend. „Ich halte das aus,“ sage ich – er nickt leicht und weint heftig. Nach einiger Zeit erzählt er, dass er dieses Modell als junger Mann besessen habe. Diese kleine Mundharmonika begleitete ihn im Krieg und hat ihn das große Leid ertragen lassen. Wenn die Sehnsucht und das Heimweh unaushaltsam wurden – so kann er jetzt berichten – spielte er für seine Kameraden und für sich. Oftmals auch das Lied: „Ich möchte zu Fuß nach Kölle jonn“. Diese Mundharmonika ließ ihn nicht nur das psychische Leid und die Kriegstraumata ertragen. Auf dem langen, unüberwindlich erscheinenden Fußmarsch in Rußland tauschte er die kleine Mundharmonika bei einem Bauern gegen ein Stück Brot und Speck. So ausgestattet konnte er physisch den langen Weg und die Kälte überstehen.
Die Erinnerungen hatten ihn an diesem Nachmittag eingeholt, hatten ihn krank werden lassen, bzw. haben ihn „abtauchen“ lassen. Es wurde an seinem leeren Blick deutlich. Die Begegnung wurde hier über die begleitenden Klänge der Mundharmonika möglich.
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