„Tulpen aus Amsterdam“

  • „Tulpen aus Amsterdam“

Ein Mann rief mich an und bat um meine Unterstützung. Seine Frau ist demenziell erkrankt. Er erzählte: „Als ich letztens noch etwas länger Champions League geschaut habe und danach ins Schlafzimmer kam, wo meine Frau schon war, bekam sie furchtbare Angst. Sie erkannte mich nicht, sondern meinte, ich sei ein fremder Mann. Sie schimpfte, ich solle sofort die Wohnung und das Haus verlassen. Ich war völlig durcheinander.“ Ich fragte ihn, was er denn gemacht habe, und er antwortete: „Ich habe ihr meinen Ausweis gezeigt mit einem Foto und meinem Namen und wollte so nachweisen, dass ich ihr Mann bin. Aber das hat nicht geklappt.“

Der Mann hatte bei seiner Frau die kognitive Seite angesprochen, die aber bei einer demenziellen Erkrankung zumindest in dieser Situation und auch sonst meistens nicht mehr zugänglich ist. Hilfreich wäre, an den Gefühlen anzudocken, um die Angst der erkrankten Frau zu reduzieren oder durch andere Gefühle zu ersetzen.

In der Folgezeit probierte er verschiedene Möglichkeiten aus. Eine Möglichkeit bestand darin, dass er das Zimmer verließ und fünf Minuten später wieder das Schlafzimmer betrat. Manchmal hatte seine Frau dann ihre Angst vergessen und erkannte ihn wieder. Als dies auch immer seltener half, gingen wir gemeinsam auf die Suche, über welche Sinneseindrücke er seine Frau ermutigen könnte, ihre Gefühlswelt mit ihm zu verbinden. Ich fragte, was er und seine Frau denn früher gerne unternommen hätten und welche gemeinsamen Interessen sie gehabt hätten. Er überlegte lange und kam schließlich darauf, dass seine Frau bei einem Besuch in Amsterdam sich sehr an den vielen blühenden Tulpen auf dem Bloemen-Markt erfreute. Sie fuhren dann später mehrmals gemeinsam nach Holland, um die Tulpenfelder zu besuchen. Dies war für ihn am Anfang nicht so interessant wie für seine Frau, doch auch er gewann immer mehr Freude daran.

Ich schlug ihm vor, einen Strauß Tulpen zu kaufen und irgendwo in die Wohnung zu stellen. Falls er wieder später in das gemeinsame Schlafzimmer gehen wollte, sollte er den Tulpenstrauß mitnehmen und seiner Frau zeigen. Er probierte dies. Die Tulpen aktivierten das Gedächtnis der Gefühle und Sinne seiner Frau. Sie verband die Tulpen mit den schönen, gemeinsamen Erfahrungen und erkannte ihn als ihren Ehemann.

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.