Trauer – vom Sinn des Weinens

Alte Menschen haben vieles zu betrauern. Nahe Angehörige sind gestorben, Kinder und Enkel wohnen vielleicht weit weg. Manche Fähigkeiten sind verloren gegangen. Die eigene Wohnung, manchmal die Heimat, ist nicht mehr zugänglich. Und dann kommen Erinnerungen, oft klar, oft verworren, und mit ihnen die Trauer.

Viele Angehörige und Mitarbeiter*innen bemühen sich, alte Menschen, denen in der Trauer Tränen fließen, aufzumuntern und zu trösten. Das ist gut so. Nicht hilfreich ist, wenn gesagt wird: „Sie brauchen doch nicht zu weinen! Ist doch nicht so schlimm.“

Für die weinenden Menschen ist etwas schlimm. Trauern ist das Gefühl des Loslassens und alte Menschen müssen viel loslassen. Das ist schlimm, das ist traurig. Am wichtigsten ist, dass die Verluste und der Schmerz der trauernden Menschen anerkannt werden und dass sie mit ihrer Traurigkeit nicht allein bleiben.

Sätze wie: „Ja, das ist schlimm! Sie dürfen ruhig weinen, wenn Sie traurig sind“, helfen und trösten.

Der Sinn des Weinens ist das Loslassen. Es hilft aber nur, wenn die Traurigkeit anerkannt und geteilt wird.

Triangel

Wenn zwei Menschen, von denen einer an einer Demenz erkrankt ist, versuchen miteinander zu kommunizieren, gibt es oft Schwierigkeiten. Das Konzept der Triangel kann dabei neue Möglichkeiten eröffnen.

Daniela M. versucht mit ihrem Mann, der zunehmend an Alzheimer-Demenz leidet, ins Gespräch zu kommen. Doch er antwortet nicht auf ihre Frage, wie es ihm denn gehe. Vielleicht hat er sie nicht verstanden. Vielleicht fürchtet er, etwas Falsches zu sagen oder Worte nicht zu finden und ist deshalb verstummt. Dann holt sie einen Bildband aus dem Bücherregal, in dem unterschiedliche kleine Segelschiffe abgebildet sind. Ihr Mann war ein begeisterter Segler, solange er es noch konnte. Beide beugen sich über das Buch und beginnen zu blättern. Da beginnt ihr Mann zu erzählen. Von früher, aber auch, wie es ihm jetzt geht. Er beschreibt seine Stimmung sogar poetisch als „stürmische See“ und dann mal wieder als „Flaute“.

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Experimentieren

In der Kommunikation mit Menschen mit Demenz ist es sinnvoll, eine experimentelle Haltung einzunehmen. Wir können nur ausprobieren, welche Kommunikation gerade gelingt und welche nicht.

Der Mann einer demenziell erkrankten Frau erzählt: „An manchen Tagen gelingt alles. Da erreiche ich sie. Da ist sie auch manchmal ganz klar und sagt mir auch etwas. Vor allem aber versteht sie mich. Da ist eine Verbindung. Und dann wieder, wenn ich genau das Gleiche mache am nächsten Tag, dann gelingt gar nichts. Dann gehe ich ins Leere. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich gegen eine Wand rennen, als wären die Fäden zwischen uns zerschnitten.“

Solche Erfahrungen machen viele, die mit demenziell erkrankten Menschen kommunizieren. Das, was heute gilt, muss morgen nicht gelingen. Viele versuchen dann, sich besonders anzustrengen und geben sich selbst Schuldgefühle, wenn ihre Kommunikationsbemühungen nicht so gelingen, wie sie sich dies vorstellen und wünschen. Diese Schuldgefühle sind unangemessen. Menschen mit demenziellen Erkrankungen schwanken in ihrer Orientierungsfähigkeit und in ihrer Fähigkeit, andere Menschen zu verstehen und sich auf sie einzulassen. Deswegen ist es notwendig, immer wieder neu auszuprobieren, wie Kommunikation gelingen kann. Eine experimentelle innere Haltung ist eine wesentliche Voraussetzung für einen würdigen Umgang in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz.

 

Freude – der Moment des Lächelns

Die Freude alter Menschen wird oft überschattet von anderen Gefühlen, vor allem der Trauer, Einsamkeit und Hilflosigkeit. Die Freude von Mitarbeiter*innen der Altenhilfe wird ebenfalls manchmal überlagert von Stress und Überlastung. Um so wichtiger ist es, Gelegenheiten der Freude zu schaffen und zuzulassen.

Damit Menschen in der Altenhilfe sich freuen können, bedarf es keiner großen Feste und Feiern. Nichts gegen Karneval und Weihnachtsfeiern – Freude entsteht auch im Kleinen: bei einem guten Essen, durch eine freundliche Geste oder ein Lächeln, ein geliebtes Musikstück. Freude braucht Momente und Begegnungen.

Und Freude lebt im Moment. Menschen können sich über etwas freuen, das sie erlebt haben, und in Vorfreude auf etwas Kommendes schwelgen. Doch gerade bei älteren Menschen ist der Blick in die jüngere Vergangenheit und in die nahe Zukunft getrübt, insbesondere bei Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Deshalb zählt vor allem der Moment. Das Lächeln im Hier und Jetzt zählt und lässt Freude entstehen.

Stärken, nicht schwächen

Jeder Mensch ist vielfältig. Er hat Schwächen und Stärken. Er kann vieles und manches weniger gut oder gar nicht. Auch Gesundheit und Krankheit sind in vielen Aspekten nebeneinander lebendig. Dieses Nebeneinander gilt auch für Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Sie sind krank, sie vergessen vieles. Sie haben Orientierungsschwierigkeiten und andere Symptome, UND sie haben gleichzeitig Fähigkeiten zu fühlen, zu lachen, zu staunen, andere Menschen zu berühren und sich berühren zu lassen.

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Auswirkungen der Demenzdiagnose auf Familien

This entry is part 1 of 2 in the series Auswirkungen der Demenzdiagnose auf Familien

Eine Demenzdiagnose und eine fortschreitende Demenz haben Auswirkungen auf die ganze Familie. In unterschiedlichem Maße. Die häufigsten Auswirkungen, die ich beobachtete, sind folgende:

Arbeitsbelastung

Die Belastung der Familie in den Alltagsarbeiten steigt. Jede Familie muss Alltagsarbeiten verrichten: Kochen, Einkaufen, Putzen usw. Dafür bleibt weniger Zeit, weil die demenziell erkrankte Person manches nicht mehr kann und die pflegende Person weniger Zeit hat.

Emotionale Belastung

Emotionale Belastungen steigen durch die vielfältigen Gefühle, die mit der Demenzerkrankung einhergehen.

Zusammenrücken oder auseinander gehen

In vielen Familien wächst der Zusammenhalt. Wenn die Mutter nicht mehr kann, springen die Kinder bei der Pflege ein. Finanziell übernehmen alle Verantwortung, sie kümmern sich und reden mehr miteinander als zuvor. Andere Familien fallen auseinander. Der Kontakt wird weniger. Häufig entwickeln sich Neid und Eifersucht zwischen Geschwistern. Eine Tochter pflegt den demenziell erkrankten Vater. Das ist für diesen wie selbstverständlich. Er lobt immer den Sohn, der sich nicht um den Vater kümmert. Der Vater entschuldigt dies mit dessen Beruf. Der Sohn wird idealisiert, vielleicht aus Sehnsucht. Die Tochter verletzt das …

Konkurrenz um Liebe und Zuwendung

Die Enkel, die immer so schön mit dem Opa gespielt haben, bekommen nun nicht mehr seine Aufmerksamkeit, zumindest viel weniger. Geschenke gibt es, aber die Kraft reicht nicht zum Spielen. Auch die Tochter beklagt sich irgendwann bei der Mutter, dass diese sie gar nicht mehr fragt, wie es ihr gehe …

Kommunikation

Die Familienmitglieder reden kaum noch über berufliche Veränderungen, die Schulergebnisse der Kinder und ihr Interesse an den anderen, sondern über die Erkrankung und die Pflege des Erkrankten. Manche Familien verstummen.

Selbstbild

Die Familie sieht sich nicht mehr als glückliche, sondern als eine durch Krankheit und Pflege belastete Familie.

Bremse

Partner*innen nehmen sich in Sehnsucht und Liebe manchmal zurück, um nicht zu viel zuzumuten und die Erkrankten nicht zu überfordern.

Schuldgefühle der Enkel

Kinder und Enkel von erkrankten Eltern bzw. Großeltern fühlen sich manchmal „heimlich“ schuldig, weil sie ihren Eltern bzw. Großeltern nicht helfen können, und können sich unter Druck setzen, denen „Gutes“ zu tun – auf Kosten mancher Gefühlsäußerungen und um den Preis manchmal zu frühen Erwachsen-Werdens.

Der Krieg in der Tagespflege

Ein Aufenthaltsraum. Mehrere ältere Menschen sitzen dort und schauen eine gemeinsame Lieblingssendung am Nachmittag. Die Sendung ist zu Ende. Es kommen Nachrichten. Dort wird über den Krieg in der Ukraine berichtet. Die Atmosphäre in dem Raum verändert sich schlagartig. Manche der anwesenden Gäste erstarren. Einige schauen auf den Fernseher, ohne sich zu regen. Die Kriegsbilder beeinflussen die Atmosphäre in der Tagespflege, in dem Gemeinschaftsraum.

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Stärkungsbriefe an einen dementiell erkrankten Freund: 4. „Was geht? Immer mehr als man Befürchtet!“

This entry is part 4 of 4 in the series Stärkungsbriefe an Fritz

Lieber Fritz,

ich habe dir geschrieben von der vollen und der leeren Hand und versucht, dich zu ermutigen, zu trauern und loszulassen. Dabei kann immer wieder die Angst auftauchen – warum soll es dir da anders gehen als mir –, dass wir mit leeren Händen dastehen, dass wir nach nichts mehr greifen können, dass nichts mehr gelingt. Meine Erfahrung und die vieler Menschen, die ich begleitet habe, zeigt, dass immer mehr möglich ist, als wir befürchten. Ich dachte, dass ich einen Urlaubsort, der mich sehr glücklich gemacht hat, nicht mehr sehen und aufsuchen könnte, doch das ging. Mit Hilfe, mit Unterstützung, in kleinen Schritten, es ging. Manches geht nicht mehr. Ich kann keinen hohen Berg mehr besteigen, aber ich kann um einen See laufen und mich am Meer erfreuen. Manches wird schwieriger als zuvor. In jedem Fall brauchen Menschen wie du und auch wie ich Unterstützung, Menschen, die uns begleiten.

Ich kann nur vorschlagen, mute dich mit deinen Sehnsüchten und Wünschen zu. Vielleicht versuchen wir es einmal gemeinsam oder du setzt dich mit deiner Frau und deinen Kindern hin und sammelst, was du an Wünschen hast. Du machst eine große Liste oder einer von ihnen schreibt sie auf ein großes Blatt. Einen Wunschzettel – nicht für Weihnachten, für das Leben. Und notiere da alles unsortiert, was dir einfällt, ob es ein bestimmter Kuchen ist, den du kosten möchtest oder eine Umarmung, ein Hörbuch oder der Besuch eines Museums, eine Reise oder ein Konzert. Im Sehnen liegt eine große Kraft. Wünsche auszusprechen und anzugehen, macht uns glücklich. Also, nimm deine Wünsche ernst. Nicht alle werden zu erfüllen sein, aber mehr, als du vorher vermutest, mehr als du befürchtest.

In herzlicher Umarmung

Udo

 

Erst andocken, dann kommunizieren

Jede Art von Kommunikation ist Ausdruck einer Beziehung zwischen zwei und mehr Menschen. Um Informationen auszutauschen oder sich über andere sachliche Inhalte zu verständigen oder Handlungen zu erklären oder zu Handlungen aufzufordern, braucht es eine grundlegende Verbindung zwischen den kommunizierenden Menschen. Dazu gehört die Bereitschaft, sich zumindest wahrzunehmen, möglichst sogar sich gegenseitig zuzuhören, und dazu gehört eine Offenheit für das, was die anderen mitteilen möchten, und dafür braucht man grundlegendes Vertrauen. Ist dies nicht vorhanden, geht Kommunikation ins Leere oder wird so von Angst und Druck überlagert, dass ein gegenseitiges Verstehen und entsprechendes Reagieren gar nicht möglich sind. Das gilt auch für Menschen ohne demenzielle Erkrankungen, aber für diese erst recht, weil bei ihnen der Boden der Verunsicherung zumeist größer ist als bei anderen.

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Würdigen, was ist

This entry is part 1 of 1 in the series Würde und Alter

Würdigen, was ist – das ist ein guter Kompass, um alten Menschen würdigend zu begegnen. Es bedeutet, auf das zu achten, was hier und jetzt das Befinden der alten Menschen ist, und es ernst zu nehmen. Zum Beispiel:

  • Darauf zu achten, was heute an Alltagsaktivitäten nicht möglich ist und wobei jemand Hilfe braucht.
  • Ernst zu nehmen, wo jemand keine Unterstützung benötigt. Die Fähigkeiten und Kompetenzen zu würdigen.
  • Respektieren, dass es heute anders sein kann als gestern.
  • Würdigen, ob jemand gerade Nähe braucht oder Abstand.
  • Achtsam zu sein auf Kleinigkeiten, auf das kleine Lächeln, den Seufzer und das Aufblitzen der Augen und vieles andere mehr.

Würdigen, was ist – das bedeutet auch, sich selbst ernst zu nehmen. Wir sind nicht jeden Tag gleich gut drauf. Haben mal schlecht geschlafen, mal Liebeskummer oder andere Sorgen. Natürlich müssen wir in der Begleitung alter Menschen unsere Pflichten erfüllen. Doch wir sollten nicht alles, was uns bewegt, überspielen und zumindest Verständnis für uns haben, wenn unser Lächeln mal nicht so offen ist oder uns ein Seufzer überkommt.