Freude – der Moment des Lächelns

Die Freude alter Menschen wird oft überschattet von anderen Gefühlen, vor allem der Trauer, Einsamkeit und Hilflosigkeit. Die Freude von Mitarbeiter*innen der Altenhilfe wird ebenfalls manchmal überlagert von Stress und Überlastung. Um so wichtiger ist es, Gelegenheiten der Freude zu schaffen und zuzulassen.

Damit Menschen in der Altenhilfe sich freuen können, bedarf es keiner großen Feste und Feiern. Nichts gegen Karneval und Weihnachtsfeiern – Freude entsteht auch im Kleinen: bei einem guten Essen, durch eine freundliche Geste oder ein Lächeln, ein geliebtes Musikstück. Freude braucht Momente und Begegnungen.

Und Freude lebt im Moment. Menschen können sich über etwas freuen, das sie erlebt haben, und in Vorfreude auf etwas Kommendes schwelgen. Doch gerade bei älteren Menschen ist der Blick in die jüngere Vergangenheit und in die nahe Zukunft getrübt, insbesondere bei Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Deshalb zählt vor allem der Moment. Das Lächeln im Hier und Jetzt zählt und lässt Freude entstehen.

Stärken, nicht schwächen

Jeder Mensch ist vielfältig. Er hat Schwächen und Stärken. Er kann vieles und manches weniger gut oder gar nicht. Auch Gesundheit und Krankheit sind in vielen Aspekten nebeneinander lebendig. Dieses Nebeneinander gilt auch für Menschen mit demenziellen Erkrankungen. Sie sind krank, sie vergessen vieles. Sie haben Orientierungsschwierigkeiten und andere Symptome, UND sie haben gleichzeitig Fähigkeiten zu fühlen, zu lachen, zu staunen, andere Menschen zu berühren und sich berühren zu lassen.

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Auswirkungen der Demenzdiagnose auf Familien

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Eine Demenzdiagnose und eine fortschreitende Demenz haben Auswirkungen auf die ganze Familie. In unterschiedlichem Maße. Die häufigsten Auswirkungen, die ich beobachtete, sind folgende:

Arbeitsbelastung

Die Belastung der Familie in den Alltagsarbeiten steigt. Jede Familie muss Alltagsarbeiten verrichten: Kochen, Einkaufen, Putzen usw. Dafür bleibt weniger Zeit, weil die demenziell erkrankte Person manches nicht mehr kann und die pflegende Person weniger Zeit hat.

Emotionale Belastung

Emotionale Belastungen steigen durch die vielfältigen Gefühle, die mit der Demenzerkrankung einhergehen.

Zusammenrücken oder auseinander gehen

In vielen Familien wächst der Zusammenhalt. Wenn die Mutter nicht mehr kann, springen die Kinder bei der Pflege ein. Finanziell übernehmen alle Verantwortung, sie kümmern sich und reden mehr miteinander als zuvor. Andere Familien fallen auseinander. Der Kontakt wird weniger. Häufig entwickeln sich Neid und Eifersucht zwischen Geschwistern. Eine Tochter pflegt den demenziell erkrankten Vater. Das ist für diesen wie selbstverständlich. Er lobt immer den Sohn, der sich nicht um den Vater kümmert. Der Vater entschuldigt dies mit dessen Beruf. Der Sohn wird idealisiert, vielleicht aus Sehnsucht. Die Tochter verletzt das …

Konkurrenz um Liebe und Zuwendung

Die Enkel, die immer so schön mit dem Opa gespielt haben, bekommen nun nicht mehr seine Aufmerksamkeit, zumindest viel weniger. Geschenke gibt es, aber die Kraft reicht nicht zum Spielen. Auch die Tochter beklagt sich irgendwann bei der Mutter, dass diese sie gar nicht mehr fragt, wie es ihr gehe …

Kommunikation

Die Familienmitglieder reden kaum noch über berufliche Veränderungen, die Schulergebnisse der Kinder und ihr Interesse an den anderen, sondern über die Erkrankung und die Pflege des Erkrankten. Manche Familien verstummen.

Selbstbild

Die Familie sieht sich nicht mehr als glückliche, sondern als eine durch Krankheit und Pflege belastete Familie.

Bremse

Partner*innen nehmen sich in Sehnsucht und Liebe manchmal zurück, um nicht zu viel zuzumuten und die Erkrankten nicht zu überfordern.

Schuldgefühle der Enkel

Kinder und Enkel von erkrankten Eltern bzw. Großeltern fühlen sich manchmal „heimlich“ schuldig, weil sie ihren Eltern bzw. Großeltern nicht helfen können, und können sich unter Druck setzen, denen „Gutes“ zu tun – auf Kosten mancher Gefühlsäußerungen und um den Preis manchmal zu frühen Erwachsen-Werdens.

Der Krieg in der Tagespflege

Ein Aufenthaltsraum. Mehrere ältere Menschen sitzen dort und schauen eine gemeinsame Lieblingssendung am Nachmittag. Die Sendung ist zu Ende. Es kommen Nachrichten. Dort wird über den Krieg in der Ukraine berichtet. Die Atmosphäre in dem Raum verändert sich schlagartig. Manche der anwesenden Gäste erstarren. Einige schauen auf den Fernseher, ohne sich zu regen. Die Kriegsbilder beeinflussen die Atmosphäre in der Tagespflege, in dem Gemeinschaftsraum.

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Stärkungsbriefe an einen dementiell erkrankten Freund: 4. „Was geht? Immer mehr als man Befürchtet!“

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Lieber Fritz,

ich habe dir geschrieben von der vollen und der leeren Hand und versucht, dich zu ermutigen, zu trauern und loszulassen. Dabei kann immer wieder die Angst auftauchen – warum soll es dir da anders gehen als mir –, dass wir mit leeren Händen dastehen, dass wir nach nichts mehr greifen können, dass nichts mehr gelingt. Meine Erfahrung und die vieler Menschen, die ich begleitet habe, zeigt, dass immer mehr möglich ist, als wir befürchten. Ich dachte, dass ich einen Urlaubsort, der mich sehr glücklich gemacht hat, nicht mehr sehen und aufsuchen könnte, doch das ging. Mit Hilfe, mit Unterstützung, in kleinen Schritten, es ging. Manches geht nicht mehr. Ich kann keinen hohen Berg mehr besteigen, aber ich kann um einen See laufen und mich am Meer erfreuen. Manches wird schwieriger als zuvor. In jedem Fall brauchen Menschen wie du und auch wie ich Unterstützung, Menschen, die uns begleiten.

Ich kann nur vorschlagen, mute dich mit deinen Sehnsüchten und Wünschen zu. Vielleicht versuchen wir es einmal gemeinsam oder du setzt dich mit deiner Frau und deinen Kindern hin und sammelst, was du an Wünschen hast. Du machst eine große Liste oder einer von ihnen schreibt sie auf ein großes Blatt. Einen Wunschzettel – nicht für Weihnachten, für das Leben. Und notiere da alles unsortiert, was dir einfällt, ob es ein bestimmter Kuchen ist, den du kosten möchtest oder eine Umarmung, ein Hörbuch oder der Besuch eines Museums, eine Reise oder ein Konzert. Im Sehnen liegt eine große Kraft. Wünsche auszusprechen und anzugehen, macht uns glücklich. Also, nimm deine Wünsche ernst. Nicht alle werden zu erfüllen sein, aber mehr, als du vorher vermutest, mehr als du befürchtest.

In herzlicher Umarmung

Udo

 

Erst andocken, dann kommunizieren

Jede Art von Kommunikation ist Ausdruck einer Beziehung zwischen zwei und mehr Menschen. Um Informationen auszutauschen oder sich über andere sachliche Inhalte zu verständigen oder Handlungen zu erklären oder zu Handlungen aufzufordern, braucht es eine grundlegende Verbindung zwischen den kommunizierenden Menschen. Dazu gehört die Bereitschaft, sich zumindest wahrzunehmen, möglichst sogar sich gegenseitig zuzuhören, und dazu gehört eine Offenheit für das, was die anderen mitteilen möchten, und dafür braucht man grundlegendes Vertrauen. Ist dies nicht vorhanden, geht Kommunikation ins Leere oder wird so von Angst und Druck überlagert, dass ein gegenseitiges Verstehen und entsprechendes Reagieren gar nicht möglich sind. Das gilt auch für Menschen ohne demenzielle Erkrankungen, aber für diese erst recht, weil bei ihnen der Boden der Verunsicherung zumeist größer ist als bei anderen.

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Würdigen, was ist

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Würdigen, was ist – das ist ein guter Kompass, um alten Menschen würdigend zu begegnen. Es bedeutet, auf das zu achten, was hier und jetzt das Befinden der alten Menschen ist, und es ernst zu nehmen. Zum Beispiel:

  • Darauf zu achten, was heute an Alltagsaktivitäten nicht möglich ist und wobei jemand Hilfe braucht.
  • Ernst zu nehmen, wo jemand keine Unterstützung benötigt. Die Fähigkeiten und Kompetenzen zu würdigen.
  • Respektieren, dass es heute anders sein kann als gestern.
  • Würdigen, ob jemand gerade Nähe braucht oder Abstand.
  • Achtsam zu sein auf Kleinigkeiten, auf das kleine Lächeln, den Seufzer und das Aufblitzen der Augen und vieles andere mehr.

Würdigen, was ist – das bedeutet auch, sich selbst ernst zu nehmen. Wir sind nicht jeden Tag gleich gut drauf. Haben mal schlecht geschlafen, mal Liebeskummer oder andere Sorgen. Natürlich müssen wir in der Begleitung alter Menschen unsere Pflichten erfüllen. Doch wir sollten nicht alles, was uns bewegt, überspielen und zumindest Verständnis für uns haben, wenn unser Lächeln mal nicht so offen ist oder uns ein Seufzer überkommt.

 

„Nach Hause“

Wenn alte Menschen, insbesondere demenziell erkrankte Menschen, in einer stationären Einrichtung, in der Tagespflege oder anderen für sie fremden Konstellationen unruhig werden und immer wieder betonen und rufen, „nach Hause“ zu wollen, dann ist es falsch, ihnen zu erklären, sie seien in einer Einrichtung, die gut für sie sei usw. In dem Bemühen, „nach Hause zu gehen“, steckt ein Gefühl. Diesem Gefühl mit rationalen Argumenten und Hinweisen zu begegnen, verstärkt die Unruhe noch mehr und bewirkt oft das Gegenteil des Beabsichtigten.

Welches Gefühl steckt hinter dieser Unruhe, nach Hause zu wollen? Die Sehnsucht nach Vertrautem, nach Geborgenheit. Das Zuhause ist der vertraute Ort, an dem man sich wohlfühlt, den man kennt, der selbstverständlich ist und in dem es eine Atmosphäre der Geborgenheit gibt. Wenn Menschen unruhig immer wieder nach Hause wollen, fehlt ihnen Geborgenheit. Es ist sinnvoll und not-wendig, um ihre Not zu wenden, sie in ihrem Bemühen nach Geborgenheit zu unterstützen. Vielleicht kann man sie fragen (wenn dies noch möglich ist, sonst Angehörige), was denn ihr Zuhause ist, was sie daran mögen, was ihr Lieblingsort ist, wie ihre Küche aussieht, auf welchem Sessel sie sitzen, welche Gegenstände sie mögen, welches Essen sie gekocht haben, welche Musik sie hören usw. Oft ergeben sich daraus Anhaltspunkte, was in der konkreten Situation an Geborgenheit fehlt und was vielleicht unterstützt werden kann. Es kann eine bestimmte Musik der Geborgenheit geschaffen werden. Es können Gegenstände aus der früheren Wohnung mit in die Einrichtung genommen werden, ein Stuhl, eine Kuckucksuhr, ein Kerzenständer oder anderes.

Möglicherweise gibt es auch andere Zugänge, um das Gefühl der Geborgenheit der entborgenen Personen zu unterstützen: Geborgenheit besteht aus Schutz, Wärme und Vertrautheit. Eine Pflegekraft oder ein*e Betreuer*in kann der beunruhigten Person Schutz anbieten, kann ihre Hand halten und mit ihr ein wenig auf und ab gehen, damit sie sich nicht allein fühlt. Man kann versuchen, Orte der Wärme zu suchen, eine Kerze anzünden, eine wärmende Decke anbieten oder einen Platz am Ofen oder an der Heizung aufsuchen. Wichtig ist darauf zu achten, welche Orte und welche Personen der beunruhigten Person vertraut sind, wo sie sich sicher fühlt und was sie kennt, nicht nur vom Verstand her, sondern von ihrem ganzen Erleben. Diese Orte und Personen ersetzen vielleicht nicht das Grundgefühl der Geborgenheit, das mit dem „Zuhause“ verbunden ist. Sie können aber wenigstens einen Hauch oder einen Teil dieser Geborgenheit schaffen.

In jedem Fall ist es sinnvoll, sich darum zu bemühen, der Spur der Geborgenheit nachzugehen. Die konkreten Schritte und Elemente, die sich auf diesem Weg ergeben, sind bei jeder Person verschieden. Manchmal gelingt dies nicht. Doch der Versuch lohnt sich immer.

Panik und Scham – die Folgen von Vergewaltigung

Bedrohliche Dunkelheit

Frau T. kann nicht im Dunkeln schlafen. Immer muss ein kleines Licht eingeschaltet bleiben, die Tür zu einem erleuchteten Flur hin wenigstens halb geöffnet sein. Sie lebt in einem Altenheim, ist 80 Jahre alt, sehr freundlich und zuvorkommend zu allen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, ebenso zu allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Pflegeleicht“, sagen einige. Doch sie besteht unerbittlich und beharrlich darauf, nicht im Dunkeln schlafen zu können. Sie braucht Licht.
Eines Nachts ist das Altenheim von einer Stromstörung betroffen und es dauert fast 30 Minuten, bis die Elektrizitätsversorgung wieder in Gang kommt. In dieser dunklen halben Stunde schreit Frau T. so schrill und so verzweifelt, dass die Nachtschwester sie nicht beruhigen kann und ihr schließlich ein Schlafmittel verabreicht. Am nächsten Tag ist Frau T. verstört.

Frau T. ist am Ende des Zweiten Weltkriegs als junges Mädchen von russischen Soldaten vergewaltigt worden. Dieses Schicksal traf viele Frauen und Mädchen in diesen Jahren, zumeist in den von der russischen Armee eroberten Gebieten im Osten und in der Mitte des damaligen Deutschlands, zahlreich aber auch im Südwesten Deutschlands, als dieser von der französischen Armee besetzt wurde.
Frauen und Mädchen wussten in diesen Zeiten, dass sie sich verstecken mussten. Sie flüchteten sich in Kellerlöcher, Dachverschläge, Höhlen und an andere Orte, die zumeist im Dunkeln lagen. Dunkelheit ist für sie seitdem mit Angst und großen Gefahren verbunden. Nachts war die gefährlichste Zeit, in der die Soldaten kamen, oft betrunken. Frauen und Mädchen waren Freiwild. Wer dies erlebt hat oder davon Zeuge wurde, wird unbewusst alles dafür tun, dass dies nicht wieder geschieht. Der Körper warnt: Dunkelheit ist gefährlich, existenziell gefährlich. Dieser Notfallvorsorgemechanismus des Körpers ist mächtiger als der Verstand, der vielleicht sagt, hier und heute im Dunkel eines geschützten Schlafzimmers könne mir nichts passieren. Das Herz sagt, der Organismus sagt: Dunkelheit ist gefährlich, Dunkelheit bedeutet massive Bedrohung. Deshalb regieren manche alte Menschen mit Angst und Panik auf Dunkelheit.

Die leidige Frage mit dem „Sie“ und dem „Du“

In den meisten Einrichtungen der Altenhilfe und der ambulanten Versorgung gilt die Regel, die zu pflegenden Menschen mit dem Nachnamen anzusprechen. Das ist gut so. Das ist Ausdruck des Respekts vor ihnen. Doch das darf nicht zur Ideologie, zu einem unabdingbaren Muss werden, denn es gibt Ausnahmen. Eine alte Frau zum Beispiel ist dement und wird geistig und emotional zu einer Dreijährigen. Sie such nach ihrer Mutti. Würde die Betreuungskraft sie mit ihrem Nachnamen ansprechen, verstünde sie nichts. In ihrem eigenen Erleben ist sie drei Jahre alt. Da ist es sinnvoll und sogar notwendig, die Dame mit ihrem Vornamen anzusprechen, um sie zu erreichen und dann zu begleiten. Alles andere würde auf Unverständnis stoßen und störrischen Widerstand hervorrufen.

Dann gibt es Menschen, die in einem beruflichen und privaten Milieu aufgewachsen sind, in dem man sich duzt. Dem bin ich oft im Ruhrgebiet begegnet bei Arbeitern und Arbeiterinnen, Handwerker*innen und anderen. Sie duzen andere selbst, sie kennen es nicht anders. Manche von ihnen sind froh darüber, dass sie mit Sie angesprochen werden, doch vielen ist dies fremd und sie duzen zurück, wenn man sie siezt, oder reagieren irritiert. Demenzielle Erkrankungen sind schon sehr verunsichernd. Wenn dann noch Irritationen im Umgang miteinander dazukommen, kann dies die Verunsicherung verstärken. Hier ist es oft sinnvoll, „Richard“ statt „Herr Schneider“ zu sagen. Manchmal kann man die Menschen auch siezen und gleichzeitig mit dem Vornamen ansprechen.

Es gilt bei der Ansprache, die Orientierung an dem höflichen Sie beizubehalten UND es ist gleichzeitig notwendig, flexibel zu sein und nicht in ideologischen Normen zu erstarren.