Stopp der Gewalt und Grenzverletzung

 

 

Die Intimität und das Recht auf deren Schutz sind für jede Frau und jeden Mann von Bedeutung. Viele Menschen, die in der Altenhilfe begleitet werden, haben traumatisierende Gewalt erfahren. Befragungen haben ergeben, dass rund 10% der Menschen in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erfahren haben. Dann kommen diejenigen hinzu, die solche Erfahrungen als Erwachsene machen mussten, und es gibt eine enorme Dunkelziffer. In der Altenhilfe muss davon ausgegangen werden, dass ein Drittel der Frauen sexuelle Gewalt erfahren hat.

Wenn diese Frauen (und auch viele Männer) ähnliche Erfahrungen wie früher bei den Ereignissen sexueller Gewalt machen (männliche Pfleger, die nachts ins Zimmer kommen, Dunkelheit, fremdartige Geräusche im Flur, intime Berührungen, Erzählungen männlicher Bewohner, was sie im Krieg den Frauen angetan haben …), dann triggert dies und das alte Erleben wird lebendig und ruft Reaktionen wie Angst, Schrecken, Erstarrung oder Flucht hervor.

Und auch in der Gegenwart erfahren Männer und Frauen, überwiegend Frauen, Grenzverletzungen. Verbale und körperliche. Die meisten von Menschen mit Demenz aus Unsicherheiten, Verwechslungen, Überforderungen. Andere erfolgen von Tätern und Täterinnen, die nicht dadurch zu besseren Menschen werden, dass sie pflegebedürftig bzw. dement werden. Für viele Pflegekräfte gehören Übergriffe und Gewalterfahrungen zum Alltag:

  • Görgen und Mitarbeiter*innen befragten Pflegekräfte ambulanter Pflegedienste. „Bezüglich der vergangenen zwölf Monate vor der Befragung erinnerten sich die Befragten an 60,8% verbale Übergriffe und 36,1% an körperliche Aggression (grob angefasst, gekratzt, beworfen oder gestoßen werden). Einige hatten schwerwiegende körperliche Übergriffe erlebt: getreten (8,5%), mit der Faust geschlagen (6,4%), mit einem Gegenstand geschlagen werden (2,8%). Jede sechste befragte Pflegekraft gab an, innerhalb des vergangenen Jahres sexuell belästigt worden zu sein.“[1]Für das aggressive Verhalten von Menschen mit Demenzerkrankungen gibt es sehr unterschiedliche Zahlen, je nachdem, was unter Aggressivität verstanden wird. In Langzeitstationen schwanken die Angaben zwischen „29-92%“[2]Andere Untersuchungen ergaben, dass 70 bis 80% aller Pflegenden Erfahrungen mit aggressiven Übergriffen von Menschen mit Demenzerkrankungen machen.[3]
  • Die Häufigkeit des Vorkommens „von körperlicher Aggression bei Menschen mit Demenz liegt zwischen 31 % und 42 %, von sexueller Aggression bei 4 %. Das aggressive Verhalten ist einer der häufigsten Gründe für eine Heimaufnahme.“[4]
  • „In einer im Jahre 2006 durchgeführten Studie gaben von 407 befragten Schülerinnen und Schülern der Gesundheits- und Krankenpflege aus Deutschland und Österreich 44% der Befragten an, sich einmal oder mehrmals bedroht gefühlt zu haben; 75% hatten einen verbalen Angriff bzw. wüste Beschimpfungen erlebt und 35% waren schon einmal oder mehrmals in der Berufsausübung tätlich angegriffen worden.“[5]

 

Für alle diese Geschehnisse gilt: Stopp jedem Übergriff, Stopp jeder Grenzverletzung! Und es muss in jedem Fall nach den Quellen von Aggressivität und Gewalt geschaut werden und nicht nur platt auf sexuelle Bedürfnisse geschlossen werden. Erfahren Menschen mit Demenz ein Stopp bei sexuellen Grenzverletzungen, dann schämen sie sich meistens und sind erschrocken. Menschen, die verroht sind, tun dies nicht und bedürfen eines konsequenteren Umgangs.

Die Würde nicht nur der alten Menschen ist schützen, auch die der Pflegenden und anderen Mitarbeiter*innen in der Altenhilfe. Dazu gehört eine Kultur des Stopps jeder Gewalt.

 

 

[1] zit. nach Nau 2012a, S. 331

[2] Glaus, Hartmann, zit. nach Walter 2012, S. 386

[3] s. a. Rapp 2008, Kienzle et al. 2012

[4] Bundesministerium für Gesundheit 2006, S. 9

[5] Nau 2012b, S. 402

Series Navigation<< Keine ProstitutionNähe, Geborgenheit, Zärtlichkeit >>

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.