Auch bösartige Menschen werden alt – was tun? Teil 4: Die Klarheit des „Stopp“

Egal aus welcher Quelle sexuelle Übergriffe oder andere Gewalttätigkeiten alter Menschen entspringen, immer sollten Sie, die Pflegenden, die dem ausgesetzt sind, das nicht einfach dulden und erdulden, sondern um ihr Recht auf Unversehrtheit wissen und es einfordern. Wenn Menschen Aggressivität oder Gewalt erfahren, sollten sie sich selbst erlauben und von anderen die Erlaubnis erhalten, ein klares und energisches „Stopp“ oder „Nein“ zu äußern. Dieses „Stopp“ muss eindeutig und authentisch sein. Es darf nicht verwässert werden durch Einschränkungen, Entschuldigungen oder Konjunktive.

“Frau S. reiche ich das Frühstück an. Brötchen mit Leberwurst hat sie sich gewünscht. Plötzlich – für mich ohne Vorwarnung – beißt sie mir in die Hand. Erschrocken schnappe ich nach Luft und bemerke, dass sie noch einmal beißen möchte. Mein klares, deutliches und echtes „Nein“ lässt sie innehalten und erschrocken aufblicken. „O je, o je“, sagt sie nun ganz sanft und streichelt meine Hand.

Wichtig ist, dass Sie das „Stopp“ klar und deutlich in ihrer Stimme erklingen lassen.

Ein klares „Nein“ bzw. „Stopp“ sagen können, will gelernt sein. Insbesondere Pflegekräfte mit eigenen traumatischen Erfahrungen, also mit Erfahrungen von sexuellen oder anderen gewalttätigen Übergriffen, werden in Situationen der Aggressivität und Gewalt meistens erstarren oder sich hilflos fühlen. In einer solchen Situation sind sie dann nicht in der Lage, die klare Stopp-Haltung, wie sie notwendig ist, einzunehmen und zu äußern. Verrohte alte Menschen nutzen das aus, hilflose alte Menschen mit Demenzerkrankungen werden dann in ihrer Hilflosigkeit belassen – sie bräuchten das „Stopp“, um aus der Aggressivität, die der Hilflosigkeit entspringt, herauszufinden.

Notwendig ist, dass alle Pflegekräfte in Ausbildungen und Fortbildungen geschult werden, mit solchen Situationen umzugehen. Dazu reichen nicht Informationen, sondern es ist notwendig, dass solche Situationen konkret im Rollenspiel geübt werden. Nur daraus kann eine Sicherheit entstehen, die den betroffenen Menschen in den meisten Fällen helfen wird.

Udo Baer, Gabriele Frick-Baer, Gitta Alandt: Wenn alte Menschen aggressiv werden Rat für Pflegende und Angehörige,                                                                                                     BELTZ Verlag, ISBN: 978-3-407-8598

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About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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