Angehörigenarbeit Teil 2: Schuld, Liebe, Hass….-erkennen

Beginnen wir mit dem ersten Beispiel. In vielen Eltern-Kind- und manchmal auch Partnerschaftsbeziehungen existieren ungelöste, unausgesprochene und unbewältigte Konflikte. Wenn eine Tochter sexuelle Gewalt erfahren hat und der Vater nun im Altenheim ist, sind keine innigen Beziehungen zu erwarten. Wenn jemand in seiner Kindheit oft geschlagen wurde oder auch später missachtet oder verachtet wurde, wie soll da Würdigung und Liebe im Alter entstehen?

Oft geben Kinder Eltern unbewusst das zurück, was sie vorher, in früheren Jahren als Verletzungen erlebt haben. Dann gibt es einen aggressiven Ton; dann werden Vorwürfe erhoben; dann werden demenzielle Erkrankungen nicht als solche gesehen, sondern als Schwächen und Unzulänglichkeiten auf diese Erkrankungen zurückgeführt; dann herrscht eine aggressive Grundstimmung, wie sie sich bei Frau L. gegenüber ihrer Mutter zeigt.

Im zweiten Beispiel zeigt sich die Liebe des Paares. Sie können nicht voneinander lassen und sie wollen nicht voneinander lassen. Der Mann vergeht vor Sehnsucht, um seine Frau in den Arm nehmen zu können. Und die Frau möchte unbedingt nach Hause. Beides ist nicht realisierbar. Der Mann ist verletzt und genauso verzweifelt wie seine Frau.

Das dritte Beispiel wirkt sehr krass, ist aber Alltag in Altenheimen. Leider. Der Subtext des Wartens der Tochter liegt vermutlich in Schuldgefühlen. Viele Kinder versprechen ihren Eltern, dass sie „nie ins Heim müssen“. Doch dieses Versprechen ist oft nicht zu halten, wenn die Gebrechlichkeit, die Selbst- und Fremdgefährdung überhand nehmen oder wenn Angehörige in der Pflege so überlastet werden, dass Krankheit auftritt oder droht. Das Versprechen muss gebrochen werden. Daraus entstehen Schuldgefühle. Wenn diese Schuldgefühle nicht ausgesprochen werden und selbst innerlich verdrängt, dann verwandeln sie sich häufig in Aggressivität. Diese Aggressivität tobt sich dann, wie in dem Beispiel beschrieben, als eine Aggressivität gegen „das Heim“, „die Mitarbeiter“…

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About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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