Der Diagnoseschock. Wie die Demenz-Diagnose Familienbeziehungen durcheinanderwirbelt und was dann helfen kann, Teil 6: Die Scham

 

 

Wenn jemand die Demenz-Diagnose erfährt, ist es wünschenswert, dass das Familiensystem und die Freunde und Freundinnen helfen können und dürfen. Doch oft begegnen wir genau an dieser Stelle der Scham. Die Betroffenen schämen sich, dass sie an Demenz erkrankt sind – und reden deshalb nicht darüber. Familienangehörige schämen sich ihres oder ihrer Erkrankten und vor allem schämen sich viele Menschen, hilfsbedürftig zu sein. Sich helfen zu lassen, haben sie nicht gelernt, insbesondere diejenigen, die geprägt wurden durch die Kriegs- und Nachkriegsjahre oder weil die Kinder der Kriegsgeneration sind und deren Verhaltensweisen übernommen haben. Dass man hilfsbedürftig ist, möchten viele von diesen Menschen nicht zeigen. Deswegen verweigern sie Hilfe und verschweigen ihre Erkrankung, so lange es geht, damit sie gar nicht in den Ruf der Hilfsbedürftigkeit geraten. Sie bleiben lieber hilflos, als ihre Scham zu akzeptieren und auszuhalten oder gar durch sie hindurchzugehen und zu lernen, Hilfe zu akzeptieren.

Diese Scham ist allgegenwärtig. Wer Menschen nach der Demenz-Diagnose helfen möchte, muss um diese Scham wissen. Es gibt keinen Weg um die Scham herum. Es ist notwendig, sie auszusprechen und anzusprechen.

Bei Angehörigen steht weniger die Scham, hilfsbedürftig zu sein im Vordergrund. Hier bezieht sich die Scham oft darauf, nicht genügend helfen zu können. „Ich kann nicht genug für meinen Vater, für meine Mutter, für meinen Partner oder meine Partnerin tun. Ich zeige damit meine Inkompetenz und mein Unvermögen.“ Diese Scham führt zum Rückzug und zum Verstummen. Umso wichtiger ist es, sie anzusprechen, in höflicher und freundlicher Art und Weise, nach ihr zu fragen und vielleicht von eigenen Erfahrungen mit ähnlicher Scham zu erzählen, um die Menschen einzuladen, sich dem Gespräch über dieses tabuisierte Gefühl zu öffnen.

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About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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