Kein Ziel verfolgen, Gastbeitrag: Interview von Dr. Frank Frick (Wissenschaftsjournalist) mit Christiane Hecker

Christiane Hecker ist Musiktherapeutin und Kreative Leibtherapeutin. Sie arbeitet auf einer Palliativstation und in zwei Hospizen in Hannover.

Was brauchen Sterbenskranke?

Sie benötigen zunächst einmal eine rundum gute pflegerische Betreuung, so dass es etwa nicht zum Wundliegen kommt. Viele Patienten, beispielsweise die Krebskranken, brauchen eine professionelle palliative medizinische Behandlung, zu der unter anderem eine Schmerztherapie auf höchstem Niveau gehört. Außerdem brauchen Sterbenskranke andere Menschen – Angehörige und ehrenamtliche Sterbebegleiter –, die liebevoll, warmherzig und empathisch sind. Wichtig ist, dass diese Menschen das Leiden des Sterbenden aushalten können.

Was sollte ein Sterbebegleiter vermeiden?

Er sollte auf gar keinen Fall Ratschläge erteilen. Sterbende brauchen niemand, der ihnen sagt: „Du musst jetzt mal loslassen.“ Ein Sterbebegleiter sollte auch kein bestimmtes Ziel verfolgen, wie etwa das, heute mal den Sterbenskranken mit Musik glücklich zu machen. Man sollte genau das machen, was der Sterbenskranke möchte. Und manchmal möchte der gar nichts, außer, dass man bei ihm ist.

Als Angehöriger ist man verunsichert: Soll ich etwa mit meiner sterbenskranken Mutter über den bevorstehenden Tod reden?

Grundsätzlich erscheint es besser, den Tod zum Thema zu machen, um sich zu verabschieden. Sonst redet man um den heißen Brei herum – und als Angehöriger bedauert man das später. Außerdem ist es schwierig, wenn Sterbenskranke nichts regeln – weder Patientenverfügung noch Testament aufsetzen. Andererseits gibt es auch Familien, bei denen das Thema Tod so tabuisiert ist, dass darüber jahrzehntelang nicht gesprochen wurde – und dann sollte man das in der Sterbebegleitung auch nicht einfordern.

Manchmal hört und liest man davon, dass im Sterbeprozess eine Chance läge. Was halten Sie davon?

So allgemein gesprochen klingt mir das zu abgehoben und esoterisch. Man hat eben keine Chance, das Ruder noch einmal herumzureißen. Und nur dadurch, dass ein Mensch stirbt, ändert er sein Wesen nicht grundsätzlich: Jemand, der zurückgezogen und eher sprachlos gelebt hat, bei dem wird sich das wahrscheinlich auch in der Sterbephase fortsetzen. Allerdings wird der Sterbenskranken – ich habe eine konkrete Patientin vor Augen – vielleicht die Möglichkeit gegeben, etwas zu erfahren, was sie noch nie erlebt hat: Man kümmert sich um sie. Und natürlich gäbe es am Lebensende auch die Chance, sich beispielsweise mit Familienmitgliedern auszusöhnen.

Wer Sterbenskranke betreut oder begleitet, ist besonderen Belastungen ausgesetzt. Wie kann beispielsweise ein Angehöriger es aushalten, wenn ihn der Sterbenskranke trotz aufopfernder Pflege beschimpft?

Das lässt sich nur ganz schwer aushalten. Wichtig ist jemand, der dem Angehörigen sagt, dass es Sterbephasen gibt und dass eine davon durch Wut und Zorn gekennzeichnet ist: Der Sterbenskranke ist wütend, weil er vom Leben lassen muss. Allgemein hilft es pflegenden Angehörigen, wenn sie sich an die Teams der sogenannten „Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung“ (SAPV) oder auch an ambulante Hospizdienste wenden. Deren Dienstleistung ist nicht nur gut für den Sterbenskranken, sondern entlastet eben auch die Angehörigen. Wie ich festgestellt habe, fällt es allerdings einigen Familien und auch einigen Kranken schwer, sich fremde Hilfe zu holen.

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