Erst andocken, dann kommunizieren

Jede Art von Kommunikation ist Ausdruck einer Beziehung zwischen zwei und mehr Menschen. Um Informationen auszutauschen oder sich über andere sachliche Inhalte zu verständigen oder Handlungen zu erklären oder zu Handlungen aufzufordern, braucht es eine grundlegende Verbindung zwischen den kommunizierenden Menschen. Dazu gehört die Bereitschaft, sich zumindest wahrzunehmen, möglichst sogar sich gegenseitig zuzuhören, und dazu gehört eine Offenheit für das, was die anderen mitteilen möchten, und dafür braucht man grundlegendes Vertrauen. Ist dies nicht vorhanden, geht Kommunikation ins Leere oder wird so von Angst und Druck überlagert, dass ein gegenseitiges Verstehen und entsprechendes Reagieren gar nicht möglich sind. Das gilt auch für Menschen ohne demenzielle Erkrankungen, aber für diese erst recht, weil bei ihnen der Boden der Verunsicherung zumeist größer ist als bei anderen.

Wenn wir mit Menschen mit Demenz kommunizieren möchten, dann gilt es, als Erstes diesen Boden der Kommunikation herzustellen. Man braucht als Erstes ein Andocken. Wenn ein Schiff in einem Hafen andockt, dann werden die Hafenpier und das Schiff mit Seilen verbunden und es werden Brücken ausgelegt oder Fallreeps heruntergelassen, über die Menschen am Pier auf das Schiff oder vom Schiff in den Hafen gehen können. Ähnliches gilt für das Andocken in der Kommunikation. Vielleicht besteht das Andocken in einem Blickkontakt oder in einer Berührung. Bevor zum Beispiel gesagt wird: „Bitte, kommen Sie jetzt zum Essen“, ist es oft sinnvoll, zunächst irgendeine Art von Verbindung herzustellen, damit diese Aufforderung nicht überraschend und aus dem Erleben der demenziell erkrankten Menschen überfallartig auf sie hineinstürzt. Wer demenziell erkrankt ist, weiß nicht sofort, von wem eine Aussage oder eine solche Aufforderung bzw. Einladung kommt. Sie brauchen Zeit zur Orientierung. Deswegen ist es notwendig, zunächst einmal alles zu tun, was möglich ist, um überhaupt eine Verbindung zu der erkrankten Person herzustellen.

Worin diese Verbindung bestehen kann, ist abhängig von den beteiligten Personen und von der Situation. Wer wiederholt mit demenziell erkrankten Menschen zu tun hat, wird aufgrund der gemachten Erfahrungen wissen, wie das Andocken zu dem jeweiligen Menschen erfolgen kann. Auch da kann es, wie schon erwähnt, Überraschungen geben und Wechsel. Dann muss das Andocken auf andere Art und Weise ausprobiert werden. Manchmal sind es Sinneskontakte, Sinnenbegegnungen, die ein Andocken ermöglichen und damit eine Brücke schaffen, auf der dann die weitere Kommunikation erfolgen kann.

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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