Die Triangel

Manchmal sind unmittelbare Ich-Du-Begegnungen mit alten Menschen schwierig.

Ein Beispiel:

Die Sozialpädagogin Frau M. mag Erna F. und doch „kommt sie nicht an sie heran“. Sie sagt: „Immer wenn mich Frau F. sieht, flackert etwas in ihr auf und dann wird ihr Blick ganz leer und sie schaut mich nicht mehr an oder sie schaut mich an und dahinter läuft ein anderer Film. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Vermutlich ist irgendetwas an der Sozialpädagogin, das Erna F. an eine andere Person erinnert, irgendein Trigger, vielleicht das Lächeln, vielleicht die Augen, vielleicht die Haarfarbe, vielleicht ein Klang in der Stimme, etwas, was die Kollegin nicht verändern kann. Dieser Auslöser führt zu einer Übertragung oder wird ein Trigger zu einem bestimmten Krisen- oder Belastungserleben, das bei Erna F. dazu führt, dass sie sich aus dem Kontakt zurückzieht. Frau M. ist hilflos.

Solche Situationen entstehen. Manche sind aufzulösen und viele nicht. Dann hilft das Triangel-Konzept. Wenn Sie und eine andere Person zusammen auf einen anderen Gegenstand zeigen, dann verbindet sie beide etwas, eine gemeinsame Orientierung. Wenn Sie und eine andere Person gemeinsam etwas tun, zum Beispiel einen Kuchen backen, ein Gedeck herrichten oder ein Bild malen, dann verbindet sie ein gemeinsames Tun. Es entsteht ein Dreieck, eine Triangel zwischen ihnen, der anderen Person und dem Dritten, dem sich beide zuwenden. Von entscheidender Bedeutung ist, dass sich nicht nur Sie und die andere Person dem Dritten zuwenden, sondern dass sich auch am Fuß der Triangel – also zwischen Ihnen beiden – eine Beziehungsveränderung vollzieht. Dies ist ein hilfreicher Weg, um generell Beziehungen zu stärken, vor allem aber oft die einzige Möglichkeit, wenn in der unmittelbaren Ich-Du-Beziehung Störungen vorliegen, die nicht behoben werden können. Wobei und wie die Triangel eingesetzt werden kann, hängt von Ihren und den Interessen der zu betreuenden Person ab.

Der theoretische Hintergrund des Triangelkonzepts beruht u.a. auf Überlegungen von M. Tomassello[1]. Er hat in der Untersuchung der Entwicklung von Menschen und von Schimpansen in den ersten Lebensjahren festgestellt, dass diese Entwicklung in der ersten Wochen und Monaten sehr ähnlich erfolgt. Doch dann explodieren die Fähigkeiten der Menschenkinder gleichsam im Vergleich zu den anderen Primaten. Tomasello hat beobachtet, dass ein wesentlicher Faktor darin besteht, dass Menschen-Eltern und Menschen-Kinder auf etwas Drittes zeigen. Das Kleinkind erkennt damit die Intentionalität, als v.a. die Absichten der Mutter oder des Vater. Durch die Identifikation in der gemeinsamen Hinwendung auf etwas Drittes zu entsteht Beziehung und erweitert sich die kognitive Kompetenz. Dies nutzen wir im Triangel-Konzept.

[1] Tomasello, M. (2006): Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition. Frankfurt a. M.

 

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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