Der 2. Weltkrieg im Wohnzimmer

Wie Schrecken von Krieg und Flucht bei alten Menschen nachwirken und was man tun kann

Ein Sommergewitter: Herr Schmidt flüchtet unter den Tisch. Er hört nicht den Donner, sondern explodierende Bomben.

Ein Arztbesuch: Frau Steffen wird panisch und schlägt um sich. Sie will sich nicht ausziehen, die lange zurückliegende Erfahrung einer Vergewaltigung ist wieder lebendig.

Kindheitserinnerungen: Zehntausende Frauen und Männer, die im Zweiten Weltkrieg oder der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland aufwuchsen, haben Gewalt erlebt. Die Mehrheit dieser Generation nahm die Traumatisierungen von damals mit in ihr Erwachsenenleben. So wie viele andere Menschen die Traumata aus Kriegen in ihren Herkunftsländern. Manchmal gelingt es, den Schrecken jahrzehntelang wegzudrängen. Doch im Alter wird er wieder lebendig.

Traumata bleiben oft unerkannt und unbenannt. Sie erscheinen gerade im Alter als unerklärliche Störungen in scheinbar banalen Alltagssituationen. Die Betroffenen geraten in Panik, ihre Angehörigen, Pflegepersonen oder Begleiterinnen und Begleiter reagieren verstört und irritiert.

Zusammenhänge zwischen aktuellen Gefühlen und Verhaltensweisen und der Vergangenheit zu kennen, ist ein erster Schritt hin zu einer verständnisvollen Begleitung. Menschen, die unter den Folgen kriegstraumatischer Erfahrungen leiden, brauchen Verständnis. Die zweite wichtige Hilfe sollte darin bestehen, zuzuhören und die Not zu erkennen. Die Betroffenen müssen erleben können, dass sie heute nicht mehr allein sind wie damals. Bis weit hinein in die 1950 er und 1960er Jahre waren die Menschen mit ihrem Leid weitgehend allein. Jede/r war mit sich selbst und dem „Wiederaufbau“ beschäftigt. Es gab keine Beratungen oder Therapien, keine Informationen oder sonstige Hilfen. Heute ist das anders. Heute können Angehörige und Pflegekräfte zuhören, können Halt und Verständnis geben und zeigen: Ich passe auf Sie auf!

Die nachfolgenden Geschichten geben eine erste Hilfestellung, wie man traumatische Erinnerungen dieser Generation erkennen und entschlüsseln kann – und was man dazu wissen sollte. Die Hintergrundinformationen in den Texten beziehen sich dabei vor allem auf die heute nachwirkenden Leiden der deutschen Bevölkerung. Dass das Nazi-Regime in ganz Europa für Massenmord, Vertreibungen, Vergewaltigungen und viele andere Leiden verantwortlich war, soll damit keineswegs relativiert werden.

 

 

 

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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