Die Trauer der Angehörigen

Frau G. pflegte ihre demenziell erkrankte Mutter. Die Demenz schritt fort und Frau G. erzählte, dass sie immer trauriger würde: „Immer öfter muss ich weinen. Immer öfter bekomme ich richtige Schübe von Traurigkeit. Ich weiß gar nicht so richtig, warum.“
Wir unterhielten uns über die Beziehung zu ihrer Mutter. Sie erzählte, dass sie sie gerne hatte und vieles von ihrer Mutter ihr vertraut war, und dass doch auch Veränderungen immer sichtbarer würden. Das war es, was sie traurig machte.
Eine andere Frau, bei deren Mann die Demenz schon weit fortgeschritten war, sagte: „Das ist noch mein Mann – und das ist er nicht mehr. Ich komme mir vor, als wäre er gestorben. Und dabei lebt er noch.“

Solchen widersprüchlichen Gefühlen bei Menschen, die demenziell erkrankte Angehörige begleiten, begegnen wir oft. Die Trauer kommt auf, weil etwas verloren geht. Trauer ist das Gefühl, das unser Loslassen begleitet. Das ist ihr Sinn, ihre Existenzberechtigung. In der Begleitung demenziell erkrankter Menschen gehen viele Aspekte der Beziehung verloren, auch wenn vieles bleibt, insbesondere vertraute Gefühle. Diese Widersprüchlichkeit gilt es auszuhalten und zu leben. Dass Trauer in diesem Prozess auftaucht, ist natürlich und selbstverständlich. Das sollten wir akzeptieren und respektieren. Also brauchen wir Möglichkeiten, unsere Trauer zu leben. Das Problem an der Trauer ist nicht das Traurigsein, sondern, wenn man damit allein bleibt. Also sollten wir versuchen, unsere Traurigkeit zu teilen, wenn es geht mit den Angehörigen, ansonsten mit anderen Menschen, denen wir vertrauen. Auch hier hilft das große UND: Ich bin traurig UND ich genieße jeden Moment unseres Zusammenseins.

About Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Ein Kommentar zu “Die Trauer der Angehörigen

  1. Das kann ich als Tochter von Eltern, die an Demenz erkrankt sind, nur unterstreichen und bestätigen. Es geht beides: trauern und genießen. Hinzukommt, dass du die Demenz „Verhinderer im Kopf‘ verschwinden können und so ein Neukennenlernen der Person möglich ist und häufig auch ein Berühren auf emotionaler Ebene geschieht. Das ist ja bei Kriegskindern häufig nicht möglich gewesen.

    Und auch noch etwas, was das Trauern in Etappen ermöglicht: Das verstehe und spüre ich jetzt, wo meine Mutter verstorben ist. Es erleichtert mir, dass endgültige Abschiednehmen und Trauern, dass Mama nicht mehr da ist. Und das sollte man sich auch bewusst machen!

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